Die Illusion der Kontrolle
Jetzt ist schon wieder was passiert: Eislaufen am Weißensee, zu leidenschaftlich über Universitätsentwicklung diskutiert, Stern gerissen, Oberschenkel frappiert. Muskelfaserriss im von der Sportmedizin charmant als „Hamstrings“bezeichneten Muskeltrio (vermutlich M. biceps femoris). Mein linker Hinterschinken ist also arg beleidigt, aber es tut nur weh, wenn ich gehe, stehe, sitze, liege oder lache.
Normalerweise gehen wir davon aus, dass uns dergleichen nicht passiert – die Illusion der Kontrolle. Das ist der Hauptgrund dafür, warum wir in einem selbst gelenkten Wagen keine Furcht verspüren: Wir haben’s ja im Griff. Die Unfallstatistik mag dagegensprechen, aber wir sind „in control“, und damit subjektiv sicher.
Die Harvard-Psychologin Ellen Langer konnte schon 1975 zeigen, dass wir selbst dort Kontrollierbarkeit wahrnehmen, wo objektiv keine ist.
Zum Beispiel wollen Leute ungeöffnete Brieflose, die sie selbst ziehen konnten, teurer verkaufen als solche, die ihnen
zufällig zugeteilt wurden:
das glückliche Händchen als Kontrollillusion. Natürlich ist noch weitaus mehr passiert: Wir
haben eine neue Bundesregierung.
Die Einschätzungen, wer da die Kontrolle hat, gehen gegenwärtig noch auseinander. Zu wünschen ist, dass sich eine gute Balance ergibt: Nicht „message control“als vorrangige Zielsetzung, sondern couragierte Sachpolitik, die das Leben der Menschen besser macht. Demokratische Kontrolle ist ein hehres Ziel, aber eines, das mehr sein sollte als bloße Illusion. Dies ist der Zeitpunkt, um Adieu zu sagen: Nach 46 Kolumnen ziehe ich mich als regelmäßiger Autor zurück.
Die Einschätzungen, wer in der
Regierung die
Kontrolle hat,
gehen noch
auseinander. Zu
wünschen ist
eine gute Balance.
An der Universität Klagenfurt gibt es in deren Jubiläumsjahr 2020 genug zu tun, und auch der Familie und der Universitätenkonferenz gebührt Zuwendung (nicht nur illusorische). Ich hoffe, ich habe Sie in den letzten 26 Monaten nicht kaltgelassen – sondern unterhalten, informiert, zum Nachdenken angeregt. Es war mir Ehre und Vergnügen! Im Übrigen meine ich, es ist höchste Zeit für wirksame Klimaschutzpolitik.
Oliver Vitouch ist Rektor der Universität Klagenfurt und Vizepräsident der Universitätenkonferenz