„Wir bräuchten eine zweite Erde“
Jeder Österreicher braucht zur Deckung seines Lebensmittelbedarfs einen Acker mit 4400 Quadratmetern. Zustehen würde uns die Hälfte.
Mit jedem Lebensmittel, das wir essen, leisten wir einen Beitrag zum Klimawandel beziehungsweise Artensterben – oder auch nicht“, mahnt Benedikt Haerlin. Der Sozialwissenschaftler der Zukunftsstiftung Landwirtschaft leitet die europäische Initiative „Save our seeds“für gentechnikfreies Saatgut. Haerlin ist Lobbyist für gesündere Lebensmittel und eine intakte Umwelt – und als solcher in Sorge. Denn: „Würden alle Menschen auf der Welt so essen wie wir, bräuchten wir eine zweite Erde“, warnt er im Film „Anders essen“des österreichischen Regisseurs Kurt Langbein (siehe Interview).
Die knapp 90 Minuten der Dokumentation funktionieren als Diätplan, weil sie einen anhand der Essgewohnheiten von drei mit der Kamera begleiteten Familien und entsprechender Gegenschnitte in die Lebensmittelindustrie auch den eigenen Konsum hinterfragen lassen. Es ist aber vor allem die plakative Darstellung des Flächenverbrauchs für die Herstel
lung der Nahrungsmittel, die überrascht. Und verstört.
Die Versuchsanordnung ist übersichtlich. In Zusammenarbeit mit der Wiener Universität für Bodenkultur wurde auf einem Acker jene Fläche abgesteckt, die durchschnittlich jeder Bürger eines westeuropäischen Industriestaates zur Deckung seines jährlichen Lebensmittelbedarfs benötigt (für die Berechnung wurden die Daten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz herangezogen). Das Ergebnis war ein 82 Meter langes und 58,5 Meter breites Feld – 4400 Quadratmeter. Umgerechnet ist zum Stillen des Hungers von jeder Österreicherin und jedem Öster
damit die Fläche eines kleinen Fußballfeldes notwendig.
Um es noch anschaulicher zu machen, wurde der Acker je nach Nutzung und Anbauort in vier Parzellen aufgeteilt. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Ackerfläche werden für den Anbau von Futterpflanzen für die Tiere benötigt, deren Produkte (Milch, Ei etc.) oder Fleisch die Menschen später essen. Wiederum nur ein Drittel dieser Fläche liegt allerdings in Österreich, zwei Drittel der Futterpflanzen wachsen irgendwo anders auf der Welt. Spiegelgleich verhält es sich mit der Anbaufläche für Obst und Gemüse, das direkt konsumiert wird. Wobei nicht alles, was gesund ist, auch klimafreundlich sein muss. „Bio-Produkte, die vom anderen Ende der Welt zu uns kommen, machen keinen Sinn“, heißt es in dem Film. Aufgezeigt werden auch rechnerische Tücken in der ökologischen Gesamtrechnung. So frisst ein glückliches Biohuhn mehr Getreide (weil es sich mehr bewegt) und hat damit einen größeren Flächenverbrauch als ein Hybridhuhn.
Neben dem immensen Boreicher denverbrauch kommt noch die Menge an Treibhausgasen dazu, die die globale Lebensmittelindustrie erzeugt – und die auf Augenhöhe mit den Abgasen des Autoverkehrs liegt.
diese Entwicklung durch eine globale Lebensmittelindustrie, die möglichst lange Haltbarkeit (die nur durch Chemieeinsatz erreichbar ist), billige Rohstoffe und Arbeitskräfte fordert, und nicht zuletzt durch das Verhalten der Konsumenten. So isst die Hälfte der Bürger in Europa regelmäßig industriell gefertigte Fertignahrung. Dieses Essverhalten geht vor allem zulasten der Regenwaldgebiete, wo enorme Flächen dem Anbau von Palmen (für Palmöl, das in Lebensmitteln, Kosmetika und Waschmitteln steckt) und Soja (als Futter) zum Opfer fallen. Wohin diese Entwicklung führt, zeigt der Film am Beispiel von Lachs aus norwegischen Aquakulturen, wo bis zu 400 Millionen Tiere gezüchtet werden. Der Fisch wurde vom Raubtier zum Pflanzenfresser „umgepolt“und wird heute mit Industriesoja aus Übersee gefüttert.