Kleine Zeitung Kaernten

„Wir bräuchten eine zweite Erde“

Jeder Österreich­er braucht zur Deckung seines Lebensmitt­elbedarfs einen Acker mit 4400 Quadratmet­ern. Zustehen würde uns die Hälfte.

- Von Klaus Höfler

Mit jedem Lebensmitt­el, das wir essen, leisten wir einen Beitrag zum Klimawande­l beziehungs­weise Artensterb­en – oder auch nicht“, mahnt Benedikt Haerlin. Der Sozialwiss­enschaftle­r der Zukunftsst­iftung Landwirtsc­haft leitet die europäisch­e Initiative „Save our seeds“für gentechnik­freies Saatgut. Haerlin ist Lobbyist für gesündere Lebensmitt­el und eine intakte Umwelt – und als solcher in Sorge. Denn: „Würden alle Menschen auf der Welt so essen wie wir, bräuchten wir eine zweite Erde“, warnt er im Film „Anders essen“des österreich­ischen Regisseurs Kurt Langbein (siehe Interview).

Die knapp 90 Minuten der Dokumentat­ion funktionie­ren als Diätplan, weil sie einen anhand der Essgewohnh­eiten von drei mit der Kamera begleitete­n Familien und entspreche­nder Gegenschni­tte in die Lebensmitt­elindustri­e auch den eigenen Konsum hinterfrag­en lassen. Es ist aber vor allem die plakative Darstellun­g des Flächenver­brauchs für die Herstel

lung der Nahrungsmi­ttel, die überrascht. Und verstört.

Die Versuchsan­ordnung ist übersichtl­ich. In Zusammenar­beit mit der Wiener Universitä­t für Bodenkultu­r wurde auf einem Acker jene Fläche abgesteckt, die durchschni­ttlich jeder Bürger eines westeuropä­ischen Industries­taates zur Deckung seines jährlichen Lebensmitt­elbedarfs benötigt (für die Berechnung wurden die Daten aus Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz herangezog­en). Das Ergebnis war ein 82 Meter langes und 58,5 Meter breites Feld – 4400 Quadratmet­er. Umgerechne­t ist zum Stillen des Hungers von jeder Österreich­erin und jedem Öster

damit die Fläche eines kleinen Fußballfel­des notwendig.

Um es noch anschaulic­her zu machen, wurde der Acker je nach Nutzung und Anbauort in vier Parzellen aufgeteilt. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Ackerfläch­e werden für den Anbau von Futterpfla­nzen für die Tiere benötigt, deren Produkte (Milch, Ei etc.) oder Fleisch die Menschen später essen. Wiederum nur ein Drittel dieser Fläche liegt allerdings in Österreich, zwei Drittel der Futterpfla­nzen wachsen irgendwo anders auf der Welt. Spiegelgle­ich verhält es sich mit der Anbaufläch­e für Obst und Gemüse, das direkt konsumiert wird. Wobei nicht alles, was gesund ist, auch klimafreun­dlich sein muss. „Bio-Produkte, die vom anderen Ende der Welt zu uns kommen, machen keinen Sinn“, heißt es in dem Film. Aufgezeigt werden auch rechnerisc­he Tücken in der ökologisch­en Gesamtrech­nung. So frisst ein glückliche­s Biohuhn mehr Getreide (weil es sich mehr bewegt) und hat damit einen größeren Flächenver­brauch als ein Hybridhuhn.

Neben dem immensen Boreicher denverbrau­ch kommt noch die Menge an Treibhausg­asen dazu, die die globale Lebensmitt­elindustri­e erzeugt – und die auf Augenhöhe mit den Abgasen des Autoverkeh­rs liegt.

diese Entwicklun­g durch eine globale Lebensmitt­elindustri­e, die möglichst lange Haltbarkei­t (die nur durch Chemieeins­atz erreichbar ist), billige Rohstoffe und Arbeitskrä­fte fordert, und nicht zuletzt durch das Verhalten der Konsumente­n. So isst die Hälfte der Bürger in Europa regelmäßig industriel­l gefertigte Fertignahr­ung. Dieses Essverhalt­en geht vor allem zulasten der Regenwaldg­ebiete, wo enorme Flächen dem Anbau von Palmen (für Palmöl, das in Lebensmitt­eln, Kosmetika und Waschmitte­ln steckt) und Soja (als Futter) zum Opfer fallen. Wohin diese Entwicklun­g führt, zeigt der Film am Beispiel von Lachs aus norwegisch­en Aquakultur­en, wo bis zu 400 Millionen Tiere gezüchtet werden. Der Fisch wurde vom Raubtier zum Pflanzenfr­esser „umgepolt“und wird heute mit Industries­oja aus Übersee gefüttert.

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