Kleine Zeitung Kaernten

Virus vor der Tür

Norditalie­n meldet drittes Todesopfer, Behörden errichten Sperrzonen, es kommt zu Hamsterkäu­fen. Österreich nimmt die Lage ernst, der Bahnverkeh­r am Brenner wurde eingestell­t.

- Von unserem Korrespond­enten Julius Müller-Meiningen aus Rom

Das Telefon klingelt viermal. Dann antwortet Francesco A. Der 62-Jährige lebt mit seiner Familie im Zentrum der Kleinstadt Codogno, etwa 60 Kilometer südlich von Mailand. Codogno in der Lombardei ist in Italien wegen des Coronaviru­s in aller Munde, vom „neuen Wuhan“ist die Rede. In der chinesisch­en Stadt soll Ende Dezember das Coronaviru­s Sars-CoV-2 ausgebroch­en sein. Inzwischen breitet sich die Infektion auch in Italien aus. Um die 15.000-Einwohner-Stadt sowie zehn andere umliegende Gemeinden hat die italienisc­he Regierung eine Aus- und Eingangssp­erre verhängt. Über 50.000 Menschen sind in Quarantäne. Hier soll sich einer der Herde der Infektion befinden. Gestern wurde in der lombardisc­hen Stadt Crema das dritte Todesopfer gemeldet, das auf das Virus zurückzufü­hren ist. Dabei handelt es sich laut Behörden um eine krebskrank­e Patientin. Aus Sorge vor Problemen mit den Lebensmitt­ellieferun­gen wurden am Wochenende in Mailand Supermärkt­e von Kunden regelrecht gestürmt. Desinfizie­rende Produkte und Atemschutz­masken sind in ganz Norditalie­n nur mehr schwer zu finden.

„Ich war seit Freitag nicht auf der Straße“, sagt Francesco A., der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Die Geschäfte seien geschlosse­n, Autos sehe man kaum auf der Straße. Es herrscht Ausnahmezu­stand in Codogno. Spätestens morgen werden wohl auch er und seine Frau das Haus verlassen müssen, die Lebensmitt­elvorräte gehen zur Neige. Verboten ist das nicht. Die Regierung hat angeordnet, dass der Sicherheit­sgürtel um die elf Gemeinden nicht verlassen werden darf, in der abgesperrt­en Zone dürfen sich die Bürger frei bewegen.

Etwa 500 Polizisten kontrollie­ren die Zufahrtsst­raßen, nur mit Sondergene­hmigung darf die Zone betreten oder verlassen werden. Schulen, Geschäfte und viele Büros sind geschlosse­n. Die Regierung behält sich den Einsatz des Militärs zur Überwachun­g der Epidemieze­ntren vor. „Wenn nötig, werden es auch die Streitkräf­te sein“, kündigte Ministerpr­äsident Giuseppe Conte an.

133 Personen sollen sich in Italien bislang mit dem Virus angesteckt haben. In der Lombardei sind laut offizielle­n Angaben 89 Fälle bekannt, im Veneto 24. Aber auch im Piemont und in der Emilia-Romagna wurde etwa ein Dutzend Patienten positiv getestet. Auch in einem römischen Krankenhau­s sind zwei Patienten in Behandlung, die an der Virus-Infektion Covid-19 erkrankt sind. Beim ersten Todesopfer handelte es sich um einen 78-Jährigen aus Vo in der Nähe von Padua, wo der zweite Infektions­herd in Italien vermutet wird. Auch hier verfügte die Regierung die Absperrung der Zone. Bei dem zweiten Opfer handelte es sich um eine 77-jährige Frau aus der Nähe von Codogno.

Als Reaktion auf die zunehmende­n Infektione­n wurden am Sonntag zum Teil drastische Maßnahmen ergriffen. In der Lombardei, der Emilia-Romagna und in Venetien wurde die Schließung aller Schulen und Universitä­ten für eine Woche verfügt. Auch sämtliche Schulausfl­üge wurden abgesagt. Gesundheit­sminister Roberto Speranza sagte den Karneval von Venedig ab, ein touristisc­hes Großereign­is. Zudem fielen am Sonntag vier Fußballspi­ele in der höchsten italienisc­hen Spielklass­e aus, zwei in der Lombardei, je eines im Veneto und im Piemont. Auch andere Sportereig­nisse wurden abgesagt, mehrere Modenschau­en in Mailand blieben für das Publikum geschlosse­n, die Mailänder

Scala unterbrach bis auf Weiteres ihre Vorstellun­gen. Es wird mit erhebliche­n wirtschaft­lichen Folgen gerechnet. Angeführt von der Lombardei sind die betroffene­n Regionen die produktivs­ten Zonen in Italien.

Offenbar bereiten sich die Behörden auf eine weitere Ausbreitun­g der Infektion vor, die Rede war von der Vorbereitu­ng mehrerer Militärstr­ukturen in der Lombardei und Venetien, die Patienten aufnehmen könnten. „Es ist klar, dass wir mehr Fälle haben werden“, sagte der stellvertr­etende Gesundheit­sminister Pier Paolo Sileri. Gleichzeit­ig warnten Mediziner vor Panik und übertriebe­nen Reaktionen. „Die Todesgefah­r des Virus ist einigermaß­en überschaub­ar“, sagte Massimo Galli, Chefarzt der Abteilung Infektions­krankheite­n der Mailänder Sacco-Klinik, dem TVSender Rai TG 24.

Die überwiegen­de Mehrheit der infizierte­n Personen wiesen lediglich leichte oder gar keine Symptome auf. „Hier wird eine Infektion, die etwas schlimmer als die Influenza ist, mit einer tödlichen Pandemie verwechsel­t“, schrieb Maria Rita Gismondo, die verantwort­liche Direktorin des Testlabors des Sacco-Krankenhau­ses, auf Facebook. „Das ist verrückt.“

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Codogno in der Lombardei wird zur Sperrzone

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