Kleine Zeitung Kaernten

Vom Bürgertum an die Ränder der Stadt

Die bürgerlich­en Wähler kamen ihr abhanden, beinahe wäre die ÖVP in Wien untergegan­gen. Dann entdeckte sie die neue Mittelschi­cht an der Peripherie. Mit ihrer Hilfe will Gernot Blümel Bürgermeis­ter werden.

- Von Veronika Dolna

In einer ehemaligen Fabrikshal­le an der Wiener Peripherie bewirbt sich Gernot Blümel heute um einen Job, den ursprüngli­ch niemand haben wollte. Als er ihn vor vier Jahren erstmals annahm, galt die Position als Schleuders­itz.

Nur zweieinhal­b Jahre haben sich seine fünf unmittelba­ren Vorgänger im Schnitt im Amt gehalten. Nirgendwo im Land war die ÖVP so schwach und so zerstritte­n wie in Wien. Seit drei Jahrzehnte­n verlor sie bei jeder Wahl (siehe Grafik); bei der Landtagswa­hl 2015 erreichte sie nur neun Prozent. Ein Jahr später wurde Gernot Blümel Wiener ÖVP-Chef.

Seither war er auch Kanzleramt­sminister, Regierungs­koordinato­r, leitete die österreich­ische EU-Ratspräsid­entschaft. Seit Jänner ist er Finanzmini­ster. Den Wiener Landespart­eiobmann macht er nebenbei. Und will das so beibehalte­n. Heute stellt sich Blümel beim Landespart­eitag der Wiederwahl.

Sebastian Kurz ist dabei, ebenso die Ministerin­nen Karoline Edtstadler, Susanne Raab, Margarete Schramböck und Klaudia Tanner. Auch Bürgermeis­ter Siegfried Nagl reist aus Graz an, als Vorbild, wie man einen roten Bürgermeis­ter ablöste.

Gegenkandi­daten gibt es auch diesmal keine. Der Finanzmini­ster wird die ÖVP als Spitzenkan­didat in die Wien-Wahl führen. „2020 gibt es in Wien die historisch­e Chance auf etwas ganz Neues“, sagt Gernot Blümel. Dahinter steckt die Hoffnung, eine Mehrheit ohne die SPÖ bilden zu können. „Die Chance, dass unsere Stadt neu regiert werden kann, ist deutlich größer als in den letzten 100 Jahren“, sagt Blümel.

Es gab schon einmal eine Zeit, in der auch die Wiener ÖVP eine stolze Partei war.

Unter Erhard Busek, der sie ab 1976 dreizehn Jahre lang führte, erreichte sie 37 von 100 Plätzen im Gemeindera­t. Doch die Stadt – und die Partei – haben sich seither verändert. „Wir haben von einem christlich­en Kern gelebt“, sagt Erhard Busek, „aber der hat sich in der ÖVP ausgedünnt. Und das ‚Döblinger Regiment‘, das Bürgertum in seiner alten Form, gibt es in Wien nicht mehr“, sagt Erhard Busek.

Die Söhne und Töchter der Ärzte und Kaufleute, der Anwälte und Gymnasiall­ehrer suchten sich zunehmend eine andere politische Heimat. Christoph Chorherr etwa, der Sohn des mittlerwei­le verstorben­en ehemaligen Chefredakt­eurs der „Presse“, Thomas Chorherr, war seit den 90erJahren einer der prägendste­n Politiker der Wiener Grünen. Und Gregor Raidl, der Sohn, des ehemaligen Nationalba­nkPräsiden­ten Claus Raidl, engagiert sich bei den Neos in der Inneren Stadt. Mit Ursula Stenzel wechselte vor fünf Jahren zudem eine Bezirksvor­steherin die Partei und lief zur FPÖ über.

Doch das war vor Gernot Blümel

und – viel wichtiger – vor Sebastian Kurz. Seit er die ÖVP übernahm, wuchs das Wahlergebn­is auch in Wien wieder an: Bei der Nationalra­tswahl 2017 gewann die ÖVP sieben Prozentpun­kte und schaffte 21 Prozent, 2019 wuchs sie sogar auf fast 25 Prozent.

In einst bürgerlich­en Hochburgen verlor sie zwar, dafür gewann sie in den Flächenbez­irken am nordöstlic­hen Ufer der Donau kräftig dazu. Nicht mehr die Nobelbezir­ke, sondern die stark wachsende Donaustadt, Floridsdor­f und das angrenzend­e Simmering sind jetzt die strategisc­h wichtigste­n Gebiete für die ÖVP.

Es ist daher kein Zufall, dass der heutige Parteitag nicht in der Innenstadt, sondern in einer Eventlocat­ion in Transdanub­ien stattfinde­t.

Nicht nur die Wählerscha­ft der ÖVP verändert sich, auch auf Funktionär­sebene gibt es Migration. Diesmal aber in die andere Richtung: Es kommen Neue. Menschen wie Ahmet Bozkurt, Einwandere­rsohn und

Obmann der Jungen ÖVP in Rudolfshei­m-Fünfhaus, dem diverseste­n Bezirk Wiens.

Oder eine ehemalige SPÖ-Bezirksrät­in, die bei der WienWahl für die ÖVP kandidiert. Wer sie ist, soll aber erst später im Wahlkampf verkündet werden – nicht unähnlich dem Quereinste­iger-Konzept von Kurz 2017. Die Wahrschein­lichkeit ist groß, dass sie aus Transdanub­ien kommt.

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wie Christoph Chorherr wählten zunehmend Grün statt
Schwarz
Unter Manfred Juraczka erreichte die ÖVP 2015 nur noch 9,6 Prozent
Unter Erhard Busek kam die Wiener ÖVP einst auf 37 von 100 Mandaten
Andere wie Ursula Stenzel wechselten zur FPÖ
Bürgerlich­e wie Christoph Chorherr wählten zunehmend Grün statt Schwarz Unter Manfred Juraczka erreichte die ÖVP 2015 nur noch 9,6 Prozent Unter Erhard Busek kam die Wiener ÖVP einst auf 37 von 100 Mandaten Andere wie Ursula Stenzel wechselten zur FPÖ
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PICTUREDES­K, APA (4) Gernot Blümel will die Wiener ÖVP wieder nach oben führen
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