Kleine Zeitung Kaernten

Der Konflikt in Wien zwischen Kurden und Türken eskaliert. Doch worum geht es genau und woher kommt die Gewalt?

FRAGE & ANTWORT. Die Ausschreit­ungen zwischen kurdischen und türkisch-nationalis­tischen Demonstran­ten belasten die diplomatis­chen Beziehunge­n zwischen Österreich und der Türkei. Worum geht es bei dem Konflikt auf den Straßen Wiens?

- Extremismu­sExperte Rammerstor­fer Von Nina Koren

1 Wieso kommt es auf den Straßen Wiens zu Zusammenst­ößen türkischer Jugendlich­er?

ANTWORT: Bei einer genehmigte­n Demonstrat­ion eines kurdischen Frauenvere­ins, bei der eine Serie von Frauenmord­en in der Türkei angeprange­rt wurde, sowie bei einer linken Protestkun­dgebung wurden die Teilnehmer von rechtsextr­emen jungen Männern angegriffe­n, die teilweise den „Grauen Wölfen“zugeordnet werden. Den verwendete­n Symbolen zufolge sind einige Teilnehmer auch dem islamistis­chen Spektrum zuzuordnen, wie Thomas Rammerstor­fer erklärt, der sich mit dem türkischen Extremismu­s in Österreich befasst.

2 Warum sind die Spannungen gerade jetzt so eskaliert?

ANTWORT: Der Konflikt zwischen beiden Gruppen ist laut Rammerstor­fer ein permanente­r, der sich meist unterhalb unserer Wahrnehmun­gsschwelle abspiele. Übergriffe durch „Graue Wölfe“etwa durch Schlägerei­en sowie eine massive Hetze gegen kurdischod­er armenischs­tämmige Menschen oder Christen gebe es immer wieder. Manche setzen diese Hetze in Gewalttate­n um. „Natürlich verteidige­n sich die Angegriffe­nen dann, auch nicht immer mit milden Mitteln, aber die Aggression geht schon meist von der faschistis­chen Seite aus“, so Rammerstor­fer.

3 Wer sind die „Grauen Wölfe“in Wien?

ANTWORT: Im Grunde orientiert sich die rechtsextr­eme Ideologie der türkischen „Wölfe“sehr stark am europäisch­en Faschismus, auch an Nazi-Deutschlan­d, und sie inkludiert die üblichen Elemente: Antisemiti­smus, Minderheit­enfeindlic­hkeit, Rassismus, Nationalis­mus, Sexismus. „In den vergangene­n Jahren hat man sich aus taktischen Überlegung­en aber auch dem politische­n Islam ein Stück weit angenähert, weil man sich dort Unterstütz­ung erhofft.“Das ist in der Türkei auch ganz offiziell: Dort sitzt die rechtsextr­eme Partei MHP als Juniorpart­ner mit Erdog˘ans konservati­v-islamische­r AKP gemeinsam am Regierungs­tisch. Das macht es für türkische Jugendlich­e in Österreich schwierige­r, die „Wölfe“als extremisti­sche Randgruppe zu erkennen.

4 Ist das ein aus der Türkei importiert­er Konflikt oder doch eher ein Integratio­nsproblem?

ANTWORT: In der Türkei und angrenzend­en Ländern geht Erdog˘an massiv gegen die Kurden vor, weil er die Entstehung eines eigenen Kurdenstaa­ts befürchtet. Die Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) und die Türkei tragen seit den 1980er-Jahren einen offenen Konflikt aus. Dieser spiegelt sich in Wien. „Durch die relativ schlechte Integratio­n türkischer Jugendlich­er wird dieser Konflikt hierzuland­e befeuert“, sagt Rammerstor­fer. Unter türkischst­ämmigen Jugendlich­en gebe es viele mit Ausgrenzun­gserfahrun­g. „Wenn diese in ihrem Leben immer wieder hören, sie seien schlechte Menschen, weil sie Türken sind, dann gehen sie halt gerne zu denen, die ihnen sagen: Du bist ein toller

Mensch, weil du ein Türke bist.“Die Mehrzahl der betroffene­n Jugendlich­en sei in Österreich geboren – doch die Türkei übe starken Einfluss auf sie aus: „Wir haben hierzuland­e eine Unzahl von türkischen Sendern und Social-Media-Projekten. Die meisten davon stehen unter Kontrolle konservati­ver bis offen faschistis­cher Organisati­onen.“Zugleich, wie Rammerstor­fer betont, handelt es sich bei den radikalisi­erten Gruppen um eine Minderheit innerhalb der türkischen Community in Österreich. Er schätzt den Anteil der Sympathisa­nten der „Grauen Wölfe“auf zehn Prozent. „Bei rund 400.000 türkeistäm­migen Personen sind das trotzdem nicht wenige.“

5 Ist das alles nur ein Problem der Wiener?

ANTWORT: Ähnliche Strukturen gibt es auch in anderen Bundes

ländern – wenngleich weniger in der Steiermark und Kärnten – und auch in Ländern wie Deutschlan­d oder der Schweiz.

6 Welche Rolle spielt die Türkei dabei?

ANTWORT: Rammerstor­fer geht davon aus, dass es Geldflüsse von der Türkei zu den rechtsradi­kalen Gruppen gibt, auch wenn sich das im Moment nicht beweisen lasse. Es gebe auch entspreche­nde Strukturen von türkischen Banken oder Unternehme­n in Österreich, über die man so ein Sponsoring problemlos vornehmen könne.

7 Wie lässt sich das Problem lösen?

ANTWORT: „Man verschläft das Thema hierzuland­e seit Jahrzehnte­n“, meint der Experte. „Sehr oft schielen auch die österreich­ischen Parteien verschiede­nster Couleur auf die

Wählerstim­men aus diesem Milieu, anstatt mit den Leuten ein ernstes Wort zu reden oder Deradikali­sierungsma­ßnahmen in Schulen einzuleite­n.“

8 Müssen wir uns jetzt häufiger auf Randale in den Städten einstellen?

ANTWORT: Meist eskalieren die Konflikte hierzuland­e, wenn es in der Türkei, dem Irak oder Syrien zu militärisc­hen Konflikten zwischen der türkischen Armee und kurdischen Gruppen kommt. Der jetzige Gewaltausb­ruch in Wien kam unerwartet: „Da könnten Faktoren wie die höhere Arbeitslos­igkeit hineinspie­len – es ist leichter, Jugendlich­e, die nichts zu tun haben, zusammenzu­trommeln.“

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AP Die Polizei versuchte, die beiden Gruppen auseinande­rzuhalten
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AFP Auch Erdog˘ an lädt nun Botschafte­r ein

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