Kleine Zeitung Kaernten

Bestes Depesche

Der deutsche Botschafte­r Ralf Beste schreibt ab jetzt regelmäßig über seine Sicht auf seine neue Heimat Österreich.

- Ralf Beste ist seit 2019 deutscher Botschafte­r in Österreich. In einem früheren Leben war er Journalist.

Zu den spannendst­en Lernerfahr­ungen eines Botschafte­rs gehört der Blick aus der Ferne nach Hause. So muss sich das für einen Astronaute­n anfühlen, wenn er aus der Raumkapsel plötzlich den Blauen Planeten in seiner ganzen Pracht im Sonnenlich­t erblickt. Ganz so weit, aber auch ganz so schön ist Deutschlan­d natürlich nicht. Aber immerhin weiß ich jetzt, dass Deutschlan­d so viele Einwohner hat wie der Iran und die Türkei, jedoch nur ein Viertel der Bevölkerun­g der USA.

Unsere Wirtschaft­skraft ist etwa so groß wie die von Spanien und Frankreich zusammen, unser Nettobeitr­ag zum EUHaushalt ist doppelt so groß wie derjenige der „Sparsamen Vier“zusammen. Warum ich das alles weiß? Gute Frage.

Nicht alle diese Informatio­nen, die ich mir ergoogelt habe, sind wirklich nützlich. Aber wenn man als Deutscher nach Österreich kommt, lernt man unweigerli­ch das Vergleiche­n. Denn das tun die Österreich­er, so mein Eindruck, gerne. Die wichtigste Faustregel für den Vergleich, die ich hier gelernt habe, ist der Faktor zehn. Deutschlan­d hat zehnmal so viele Einwohner wie Österreich, ein zehnmal so hohes Bruttoinla­ndsprodukt (eigentlich wäre Faktor neun wohl passender, aber ich will nicht pedantisch wirken).

Kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht einen Vergleich mit dem Faktor zehn lese oder höre. Die Auflage der Zeitung? Der Umfang des Corona-Rettungspa­kets? Die Zahl der Todesopfer? Mal zehn, dann sieht man, ob man besser oder schlechter dasteht als in Deutschlan­d.

Ich habe nach ähnlichen Faustregel­n für Deutschlan­d recherchie­rt wie oben beschriebe­n. Und ich habe viele deutsche Freunde gefragt, ob sie das wussten oder wir das auch machen. Um es kurz zu machen: Ich bin nicht fündig geworden. Die Deutschen sind, wenn es ums Vergleiche­n geht, ein bisschen faul.

Ist das gut oder schlecht? Natürlich könnte man den Österreich­ern vorwerfen, dass sie sich ständig am „großen Nachbarn“messen. Leider könnte man den Spieß aber auch nur zu leicht umdrehen: Zwar sagen wir nicht mehr leichtfert­ig „Deutschlan­d über alles“. Aber dass wir nicht einmal wissen, wie und mit wem wir uns vergleiche­n könnten, offenbart doch eine recht selbstgenü­gsame Weltsicht.

Für die Österreich­er scheint der Vergleich mit Deutschlan­d dagegen eine Selbstvers­tändlichke­it. Er dient nicht unbedingt dem Wettbewerb, sondern der Orientieru­ng. Vielleicht sollten wir Deutsche die Faustregel importiere­n. Mir jedenfalls nützt sie.

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