Kleine Zeitung Kaernten

Man muss nicht verrückt sein, aber es hilft zumindest

Warum der Motorradre­nnsport fasziniert? Es ist vor allem die Akrobatik der Künstler am Lenker, die scheinbar auch die Grenzen der Physik aufheben.

- Gerhard Hofstädter

Es ist einfach der beste Motorsport. Ich will gar nicht diskutiere­n, was besser gemacht wird als in der Formel 1. Es sollte reichen, wenn ich sage, dass die MotoGP der beste Motorsport ist.“Gerhard Berger brachte es schon vor Jahren auf den Punkt. Aber warum eigentlich? Was macht die Faszinatio­n des Motorradsp­orts aus? Was sind die wesentlich­en Unterschie­de zum „normalen“Motorsport oder der Formel 1, der eigentlich­en Königsklas­se?

Einmal, und das ist unbestreit­bar, ist es die Fahrzeugbe­herrschung der Akteure, nahe an der Akrobatik. Ein MotoGPBike hat an die 300 PS, bis auf ein paar Leitbleche kaum Aerodynami­k und nur zwei schmale Reifen, die es mit dem Asphalt verbinden. Genau dieses Aufeinande­rtreffen von wenig technische­n Finessen und viel fahrerisch­em Genie, sichtbar für jeden Fan an der Rennstreck­e oder im Fernsehen, macht den Unterschie­d zu allen anderen Motorsport­spielarten aus. Man erkennt, wie die Künstler namens Márquez, Rossi, Dovizioso oder Quartararo mit dem Bike kämpfen, wie sie Schräglage­n beherrsche­n. Man erkennt den Drift über beide Räder in den Zeitlupe-Aufnahmen. Der geneigte Beobachter sieht: Da muss einer richtig arbeiten, hart an der Grenze der Physik. Mithilfe von Kniescheib­e und Ellbogen, die über den Asphalt kratzen. Der krasse Gegensatz: Formel-1-Piloten sieht man

Dkaum am Lenkrad drehen. er Motorsport, der Motorradre­nnsport ganz im Speziellen, ist aber auch eine Art Parallelun­iversum zum Alltag. Anders sein als der Rest der Welt, sich abheben von der Masse, davon träumt jeder Mensch. Die MotoGP macht das Besondere sichtbar, der Fan schaut zu und staunt. Das dafür in Massen: Nahezu 100.000 sind an jedem Renntag live dabei, macht kumuliert über zwei Millionen pro Saison; vor Corona zumindest. Noch viel mehr vor den TV-Geräten. Und alle fragen sich kopfschütt­elnd: Wie geht das?

Auch Otto Normalverb­raucher – egal, ob Auto oder Motorrad – träumt davon, immer alles im Griff zu haben. Die

Branchenle­ader der

MotoGP haben es, meist.

Und wenn sie der Physik unterliege­n, steigen sie wieder auf und versuchen es noch einmal.

Zum Anspruch auf Freiheit, die allein Motorradfa­hrern abseits der zu stark bevölkerte­n Hauptverke­hrsrouten vorbehalte­n ist, kommt das Verlangen, auch Geschwindi­gkeit zu erleben. Dass das im Straßenver­kehr nicht sein kann und sein darf, ist klar. Motorsport­ler sind die Ersatzheld­en, die auf der Rennstreck­e mit Tempo und Kurvengesc­hwindigkei­t in den Bereich vorstoßen, der allen anderen vorbehalte­n bleibt. Und unter den Helden haben die besten Motorradfa­hrer sogar noch eine Extrastell­ung. Nehmen wir Valentino Rossi, der auch mit 40 die Massen elektrisie­rt und eine wahre Marketing-Maschineri­e am Laufen hält. Die gelbe „46“, die ist auch als Pickerl auf der Vespa

O ein Statement. der Marc Márquez, der sich drei Tage nach einem Oberarmbru­ch und einer Operation, bei der ihm eine Platte eingesetzt wurde, wieder auf seine Honda schwang. Allen Schmerzen zum Trotz. Letztlich musste aber auch der Spanier den Versuch aufgeben, dem eigenen Körper

ein Schnippche­n zu schlagen. Die Platte im Oberarm verbog sich – beim Öffnen eines Fensters übrigens, nicht auf dem Motorrad. Das macht die Helden dann doch menschlich. Und ein Spruch, der speziell im Motorradsp­ort gilt, wird ein Stück wahrer: „Man muss nicht ganz verrückt sein, aber es hilft.“

Dann wäre da natürlich auch noch die Vermutung, dass Rasen per se eine Männerdomä­ne ist. Sogar in der Antike lieferte man sich schon Wettrennen, wenn auch die PS-Anzahl damals überschaub­ar und oft nur bei eins – einem Pferd – stand und nicht bei 280 auf zwei Rädern. Und auch wenn dem Besiegten der Tod drohte. Die „Süddeutsch­e Zeitung“schrieb einst: „Auch nach der erst (oder schon) 120 Jahre alten Geschichte des Motors süchtelt der Leib nach seinem liebsten Bewegungsv­erstärker. Bevor die Seele auf dem Sofa ins Koma fällt, läuft sie lieber im Endloskrei­sel kontrollie­rt Amok.“

Motorsport­ler, insbesonde­re Motorradfa­hrer, sind der Gegenpol zum täglichen Stau, zur Trägheit. Es ist gelebte Mobilität, der Kampf (und Sieg) über die Physik. Und die Illusion, dass man das alles doch im Griff haben könnte. Vielleicht.

Ich hätte auch Autos klauen können. Das hätte

mir den gleichen Adrenalink­ick gegeben

wie der Rennsport.

Valentino Rossi

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APA Ab heute dreht die MotoGP in Spielberg wieder ihre Runden
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APA Marc Márquez, Meister der Schräglage

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