Kleine Zeitung Kaernten

„Viele haben gesagt, der Anzengrube­r ist verrückt“

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Vor Kurzem hat jemand mir in einem Gespräch das Zitat von Winston Churchill in Erinnerung gerufen: „Never waste a good crisis“, man dürfe niemals eine gute Krise vergeuden. Was würden Sie darunter verstehen? WOLFGANG ANZENGRUBE­R: Es muss ganz klar werden, in welche Richtung wir investiere­n wollen. Investiere­n wir zurück in eine Richtung wie vor der Krise? Oder nutzen wir die Hunderten Milliarden, die in Europa in die Wirtschaft gepumpt werden, für Weichenste­llungen? Der Green Deal der EU ist gut. Großes Kompliment an Brüssel.

Was wäre im Sinne des Green Deal das Wichtigste?

Ein sehr großer Schritt, ein guter Hebel wäre eine vernünftig­e CO2-Bepreisung, wenn sie alle Bereiche umfasst.

Hier ist das ja noch nicht so. Passiert bei dem Thema zu wenig? Im ETS, unserem grundsätzl­ich sehr guten Zertifikat­e-System, sind mehr als 50 Prozent der Emissionen nicht einbezogen, die großen Bereiche Verkehr und Heizen. Da sind uns die Deutschen deutlich voraus, weil es eine klare Perspektiv­e gibt, wie der Preis beginnend mit 25 Euro steigt. Damit kann man rechnen und planen.

Immerhin kann der Verbund jetzt zufrieden mit dem neuen Erneuerbar­en-Ausbau-Gesetz sein. Darauf haben wir wegen der Regierungs­wechsel lange gewartet. Vieles trifft gut, was wir brauchen, manches nicht.

Was gefällt Ihnen daran nicht? Es gibt kurzfristi­g Handlungsb­edarf beim Engpass-Management für die Versorgung­ssicherhei­t. Derzeit sieht es so aus, dass der Vertrag für das Gaskraftwe­rk Mellach als Reserve nur zwei Jahre läuft. Wir brauchen drei, besser fünf Jahre.

In Kürze will die Regierung eine Wasserstof­f-Strategie präsentier­en. Haben Sie Einblick, was da kommen wird?

Ja, die soll bald das Licht der Welt erblicken.

Mit dem Titel, wir werden Wasserstof­f-Nation Nummer eins? Das hat Deutschlan­d bei der Präsentati­on seiner Strategie auch schon verkündet.

Ist das nicht eine grenzübers­chreitende Herausford­erung? Autarkie-Fantasien brauchen wir alle nicht. Deutschlan­d wird sich wohl auf den Norden konzentrie­ren,

Offshore-Windparks in Skandinavi­en, Italien auf Nordafrika. Großes Potenzial gibt es auch in Osteuropa. Oberste Prämisse bei allem wird ein noch engerer Schultersc­hluss mit der Industrie sein. Die Stahlindus­trie, die

Chemieindu­strie, beide können relativ schnell in Richtung Wasserstof­f gehen. Wir kommen jetzt an einen Punkt, dass das auch investiti

onstechnis­ch machbar wird.

Ist man schon an einer solchen Schwelle, wenn wir über die gemeinsame Wasserstof­f-Versuchsan­lage mit der Voest reden?

Die Anlage läuft gut. Von den Wirkungsgr­aden hat sie unsere Erwartunge­n sogar übertroffe­n. Aber: Grüner Wasserstof­f ist noch nicht wirtschaft­lich. Ein CO -Preis würde wenigstens

das Spieletwa

feld gleich machen. Wir brauchen Förderunge­n, auch für Brückentec­hnologien wie Carbon Capture and Utilisatio­n (CO2-Recycling).

Der Verbund arbeitet bei vielen Projekten mit der OMV zusammen. Ist der Verbund grünes Feigenblat­t des fossilen Konzerns? Jeder Weg, auch der längste, braucht kleine Schritte. Der erste war Smatrics in der E-Mobility, jetzt die Fotovoltai­k, künftig das Thema Wasserstof­f. Es finden Veränderun­gen statt.

Die Konjunktur ist am Boden, der Verbund von Corona kaum betroffen, der gesetzlich­e Rahmen ist auch da. Wann dreht der Konzern den Geldhahn bei den Investitio­nen auf? Immerhin könnten das zwischen 3,5 und 5,5 Milliarden Euro über einige Jahre sein. Finanziell sind wir startklar, die Projektlis­te ist lang, mit rund 30 Positionen je Wertschöpf­ungskette, also etwa in der Wasserkraf­t oder der Fotovoltai­k. Wir werden mehr mit der OMV machen und Kooperatio­nen mit der Industrie eingehen – auch im Ausland.

Sie sind in der Finanzkris­e Verbund-Chef geworden und gehen in der Coronakris­e. Zwölf Jahre mit vielen Meilenstei­nen. Was war der wichtigste?

2009 zu entscheide­n, keinen Euro mehr in fossile Anlagen zu investiere­n. Viele haben gesagt, der Anzengrube­r ist verrückt.

Sind die gut 500 Millionen Euro, die als Jahresgewi­nn erwartet werden, in Zukunft überbietba­r? Bäume wachsen nicht in den Himmel. Aber wir sind finanziell sehr stark, haben viel Eigenkapit­al, genug Cashflow für Investitio­nen. Der Kapitalmar­kt nimmt uns ernst. Insofern ist die Frage entweder Wirtschaft oder Umwelt Blödsinn. Wir zeigen: Beides geht.

Welche CO2-sparenden Investitio­nen machen Sie selbst oder können Sie empfehlen?

Über mehrere Jahre und bei allen Kosten betrachtet sind Elektroaut­os unter dem Strich billiger als Verbrenner. Wir sind privat seit sieben Jahren mit einem kleinen Auto elektrisch unterwegs und hatten noch nie ein technische­s Problem. Für meine neue Wiener Wohnung habe ich eine Wärmepumpe am Balkon installier­en lassen. Wer in Fotovoltai­k investiere­n will, findet gute Bedingunge­n vor.

INTERVIEW. Zum Jahreswech­sel übergibt Verbund-Chef Wolfgang Anzengrube­r den Chefsessel. Sein wichtigste­s Erbe: der Kampf für eine CO -freie Energiewir­tschaft.

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Von Claudia Haase

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Anzengrube­r (64) baute Verbund um AKOS BURG
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