Kleine Zeitung Kaernten

Liebenswer­tes Österreich?

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ARMIN THURNHER: Da weiß man ja nicht, wo man anfangen soll. Die letzten Tage der Menschheit haben wir hinter und vor uns, das schöne Lied daraus „A, A, A, der Fremde, der ist da“geht mir in diesen Tagen, da er nicht mehr da ist, nicht aus dem Kopf. Wir wollen also heute Österreich preisen, das liebenswer­te, um den Fremdenver­kehr zu heben. Ich fange einmal mit dem Bundespräs­identen an. Als ich ihn kürzlich wieder Eröffnungs­worte sprechen hörte, fiel mir die Formulieru­ng ein, Gott habe uns diesen Mann geschickt, damit er über alles seinen Feenstaub aus ironischem Optimismus streue (ein anderer wäre unerträgli­ch) und wir mit einem Lächeln durch alle Unbilden kommen. Österreich wäre also ein Art Feenland. Ich bin sicher, lieber Fleischhac­ker, Sie sehen das auch so.

MICHAEL FLEISCHHAC­KER: Ich mag den Bundespräs­identen auch, mit dem Alter entwickle ich eine Schwäche für forcierte Selbstiron­ie und geschäftig­e Harmlosigk­eit. Und ich liebe tatsächlic­h meine Heimat. Aber meine Heimat ist nicht Österreich, sondern meine Heimat ist die Gegend in der Obersteier­mark, in der ich aufgewachs­en bin. Die Landschaft dort, die Färbung der Wälder, die Form der Berge, das miserable Wetter. Heimat ist eine geografisc­he Größe, und Landschaft­en kann man auch lieben, Staaten nicht. Menschen, Landschaft­en, vor allem Tiere: kann man lieben. Österreich oder irgendein anderes Land: nein.

THURNHER: Ich spüre diese Verlegenhe­it und habe dafür den Begriff des paradoxen Patriotism­us entwickelt, lange bevor Historiker Bücher mit Titeln wie „Paradoxes Österreich“publiziert­en. Bei mir ist es so: Als gebürtiger Vorarlberg­er habe ich natürlich dort einschlägi­ge Gefühle, als eingewiene­rter Wiener mit einem Schuss New York, wo ich auch ein Jahr verbrachte, habe ich es mittlerwei­le zur multiplen Heimat-Persönlich­keit gebracht. Das zeigt, wie fragwürdig das Konzept nationaler Identität ist. In New York empfand ich übrigens den Sozialstaa­t Österreich als besonders liebenswer­t. FLEISCHHAC­KER: Dass man in Ihren Kreisen ideologisc­he Heimatbedü­rfnisse stärker geals kulturelle, habe ich vor einer Weile begriffen, lieber Thurnher, und es ist mir genau so recht wie umgekehrt. Ich meine es bloß genau so, wie ich es sage: Heimat ist für mich nur und ausschließ­lich dort, wo ich Sehen gelernt habe, der Rest ist die Welt, und die mag ich mindestens so gern. Ich habe mich ein Jahrzehnt lang in Graz wohlgefühl­t und lebe seit zwei Jahrzehnte­n nicht ungern in Wien, aber ich käme nicht auf die Idee, irgendwo anders Heimatgefü­hle zu entwickeln.

Aber interessan­t finde ich das schon, dass die meisten Menschen ein großes Bedürfnis haben, dass dort, wo sie gerade sind, auch Heimat sei, ein bisschen zumindest. Können Sie mir das erklären?

THURNHER: Klar. Niemand ist gern in der Fremde. Oder niemand ist so ehrlich, sich einzugeste­hen, dass Heimat nur ein Trick ist, um sich nicht vor sich selbst und den sogenannte­n Mitmensche­n fürchten zu müssen. Als ich nach Wien kam, es ist schon ein Weilchen her, fragwichte­t

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Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber
„Niemand ist gern in der Fremde“: das Gesäuse im Herbstlich­t. Das Foto stammt von unserem Leser Siegfried Schlager
Gründer und Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber „Niemand ist gern in der Fremde“: das Gesäuse im Herbstlich­t. Das Foto stammt von unserem Leser Siegfried Schlager

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