„Dieses Land schreibt Geschichten, die ich mir nicht ausdenken kann“
Je länger ich in diesem Land lebe, desto mehr wandelt sich meine ursprünglich kindliche Faszination in das typisch widersprüchliche Verhältnis, an dem sich so viele in Österreich abarbeiten.
Mit Falco fing es an. Ich muss etwa schulreif gewesen sein, als ich durch ihn das erste Mal eine Ahnung von dieser seltsam anderen Möglichkeit des Deutschseins erfuhr. Inkorrektheiten seien mir an dieser Stelle verziehen, ich war erst sechs oder sieben Jahre alt und versuche jetzt, meine Annäherung an Österreich nachzuzeichnen. Und wie für viele andere Menschen, die in Deutschland leben, bleibt das Österreichische eben lange eine reizvolle Spielart des Deutschen. Falco irritierte und faszinierte mich mit seiner Exaltiertheit in „Rock me Amadeus“. Ich lernte, dass Arroganz und über die Stränge schlagen, „zu viel des Guten“nicht gleich bestraft werden musste. Das „zu viel“galt ebenso für Schmerz und Verzweiflung: Als Falco „Jeankeit,
veröffentlichte, erfuhr ich, dass man diese auf Deutsch auch herausschreien konnte. Dass man ihn nicht um jeden Preis sozial verträglich herunterdimmen musste. Und obwohl ich den Text inhaltlich nicht verstand, spürte ich das Verbotene an diesem Lied. Mit dem ansonsten so seichten Gedudel in der ZDF-Hitparade hatte das nichts zu tun. ls ich dreizehn war, fuhr ich in den Sommerferien an den Wolfgangsee. Ich besaß noch nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und meine Eltern hatten es versäumt, mir ein Visum für Österreich zu besorgen. „Es wird sich schon irgendwie ausgehen“, werden sie damals sinngemäß, sehr undeutsch, aber sehr iranisch, gedacht haben. Mein Ausweis war nichts als ein Fetzen Papier. Ich hielt ihn in meinen feuchten Händen und bangte, als wir uns im Schritttempo der Grenze näherten. Dann öffnete sich die vordere Tür, zwei Uniformierte stiegen mit „Grüß Gott“ein, blieben aber beim Fahrer stehen. Ich hörte sie lachen, dann stiegen sie wieder aus und der Busfahrer beschleunigte. Ich lernte, dass Grenzen nicht für alle Menschen eine ernste Sache waren. Den Wolfgangsee liebte ich gleich. Ich liebte den Anblick des Schafbergs. Wir gehen da jetzt rauf, sagten die Be
Atreuer. Den ganzen Weg über verfluchte ich sie, am Gipfel angelangt, bedankte ich mich euphorisiert bei ihnen. Ich lernte, dass man belohnt wurde, wenn man sich vorher nur ausreichend gequält hatte. Außerdem, dass man als Hauptspeise etwas W
Süßes essen konnte. enige Jahre später, ich war 17 oder 18 Jahre alt und besaß immer noch nicht die deutsche Staatsangehörigny“
fuhr ich allein mit dem Zug nach Linz. Immerhin konnte man das Visum für Österreich zu dieser Zeit schon direkt an der Grenze erwerben. Nach Linz fuhr ich, um einen jungen Mann zu besuchen, den ich in Prag kennengelernt hatte und der in der Nähe des Attersees wohnte. In Prag hatte er sich mir als Oberösterreicher vorgestellt, was mich verwirrte. Bundesländer spielten in meinem Leben keine Rolle. Wir fuhren