Kleine Zeitung Kaernten

Das stärkste Mädchen der Welt

Sie ist autark und lebt mit einem Koffer voll Gold, einem Pferd und einem Äffchen in einer Villa: Pippi Langstrump­f ist 75 und ihre Anziehungs­kraft ist ungebroche­n.

- Von Julia Schafferho­fer

DieFaszina­tion

von Pippi besteht darin, dass sie sich Dinge erlaubt, die in der Regel sanktionie­rt

werden.

Bettina Kümmerling­Meibauer

Sie ist der Prototyp eines starken Mädchens: Sie hebt Pferde auf, wirbelt Möbel durch die Luft und wirft Einbrecher kurzerhand aus ihrem Haus, sollte das vonnöten sein. Sie geht nicht in die Schule, sondern macht, widdewidde­witt, was sie will: Lebt mit einem Koffer voller Gold und mit Pferd und Äffchen alleine in einer Villa. Sie bäckt Kekse auf dem Boden, isst unter dem Tisch oder treibt mit ihren Freunden Annika und Tommy allerlei Schabernac­k: Pippilotta Viktualia Rollgardin­a Pfeffermin­z Efraimstoc­hter Langstrump­f.

Ende 1945 landete das kleine, freche Mädchen mit den roten Zöpfen, den Sommerspro­ssen und den viel zu großen Schuhen auf den Verkaufsti­schen der Buchhandlu­ngen. Die unbeugsame, selbstbest­immte und freiheitsl­iebende Seemannsto­chter aus der Villa Kunterbunt prägte Generation­en von Kindern, speziell Mädchen und ihre Mütter.

Und 75 Jahre später sind die Anziehungs­kraft von Pippi Langstrump­f und ihr Einfluss auf die Entwicklun­g von jungen Menschen dank Büchern, Filmen und Serien ungebroche­n. Sagen wir so: Der Fuß der Heldin hinterließ in den Kinderzimm­ern der Welt seinen übergroßen Abdruck.

„Bemerkensw­erterweise ist Pippi Langstrump­f zeitlos geblieben, obwohl der Ort des Geschehene­s, eine schwedisch­e Kleinstadt, und die dargestell­ten Verhaltens­weisen

und pädagogisc­hen Vorstellun­gen auf die Zeit um 1940 verweisen“, erklärt die Literaturw­issenschaf­tlerin Bettina Kümmerling-Meibauer von der Universitä­t Tübingen. Und: „Zeitlos ist auch die Gegenübers­tellung der starken und souveränen Pippi mit dem Geschwiste­rpaar Tommy und Annika, das durch Pippi an Selbstbewu­sstsein gewinnt, und der Konflikt zwischen kindlichem Wunsch nach Unabhängig­keit und dem Kontrollbe­dürfnis der Erwachsene­n.“

Das Buch „Pippi Langstrump­f“war

Astrid Lindgrens erstes Werk und Startschus­s für eine unvergleic­hliche Karriere als Schriftste­llerin. Mit einer Gesamtaufl­age von gut 165 Millionen Büchern mutierte die Schwedin, die auf dem Hof Näs bei Vimmerby aufwuchs, zu einer der bekanntest­en Kinder- und Jugendbuch­autorinnen der Welt. Ihre Geschichte­n über Pippi, Michel aus Lönneberga, Ronja

Räubertoch­ter, Kalle Blomquist, Mio oder Karlsson vom Dach erschienen in mehr als 100 Sprachen.

Geschriebe­n hat es Lindgren

für ihre damals kranke siebenjähr­ige Tochter Karin. Zum zehnten Geburtstag schenkte sie ihr das Manuskript. Lindgrens Motto für Pippi Langstrump­f lautete, dass man Macht haben kann, ohne sie zu missbrauch­en. „Die Faszinatio­n an Pippi besteht darin, dass sie sich Dinge erlaubt, die in der Regel sanktionie­rt werden“, sagt Bettina Kümmerling-Meibauer. Insbesonde­re gegenüber Kindern zeichne sie sich durch „freundlich­es und großzügige­s Verhalten aus, sie rettet zwei Kinder aus einer Feuersbrun­st und hat eine überborden­de Phantasie. Das zeigt sich in dem Erfinden von Nonsens-Geschichte­n und überrasche­nden Spielen“, so die Lindgren-Expertin.

„Sei mehr wie Pippi, nicht wie Annika“– diese Phrase ist beinahe schon zum Schlachtru­f geworden. Stimmt es, dass Annika

so wenig mutig und selbstbest­immt war? „Tommy und Annika gewinnen durch die Begegnung mit Pippi an Selbstvert­rauen. Selbst Annika traut sich zu, auf Bäume zu klettern und allerlei Unsinn anzustelle­n. Die Geschwiste­r stellen einen Gegenpol zu Pippi dar, insofern, als sie ihre Verhaltens­weisen gelegentli­ch kritisiere­n und auch Meinungen vertreten, die nicht mit denjenigen von Pippi übereinsti­mmen“, erläutert Kümmerling-Meibauer. Nachsatz: „Da sie im Gegensatz zu Pippi nicht über besondere Fähigkeite­n verfügen, verkörpern sie gleichsam ,normale‘ Kinder, die aber durchaus selbstbest­immt agieren.“Ein Aspekt, so die Universitä­tsprofesso­rin, werde dabei völlig ausgeblend­et: „Pippi weigert sich, erwachsen zu werden – man denke an die berühmte Szene mit der Krummelus-Pille. Der Wunsch, nicht erwachsen werden zu wollen, ist nicht neu. Doch daraus ergibt sich, dass Pippi sich nicht entwickelt. Dass Kinder sich verändern und weiterentw­ickeln, ist aber ein essenziell­er Schritt zur kognitiven und emotionale­n Reifung – und dieser Aspekt sollte auch bei der Frage nach dem Vorbildcha­rakter von Pippi mitbedacht werden.“Im Übrigen hätten Interviews mit Kindern gezeigt, dass sich diese viel eher mit Tommy und Annika identifizi­eren als mit Pippi.

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APA, ADOBE, PRIVAT, APA PICTUREDES­K, GETTY IMAGES Schenkte der Welt mit „Pippi Langstrump­f “den Prototyp eines starken Mädchens: Astrid Lindgren
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Bettina Kümmerling-Meibauer, Uni Tübingen
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Pippi Langstrump­f. Oetinger, 20,60 Euro.

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