Der Mutmacher
Lange hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen nichts von sich hören lassen. Nun nutzte er den Nationalfeiertag dazu, ein paar wichtige Dinge zu formulieren.
Die Dosierung von Worten ist eine hohe Kunst. Ein Bundespräsident muss sie beherrschen, sonst hört ihm bald keiner mehr zu. Viel mehr als Worte stehen ihm nicht zu Gebot. Der Oberbefehl über das Heer, der gestern wieder einmal in militärischen Ritualen zum Ausdruck kam, ist ja kaum in reale Macht zu übertragen.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat eine längere Pause eingelegt, nichts mehr zum alles dominierenden Thema gesagt. Das erhöht die Wirkung der Worte, mit denen er zum Nationalfeiertag Mut machen und ein paar Botschaften anbringen wollte. Nicht nur angenehme.
Ein guter Redner beginnt damit, seinen Zuhörern Verständnis entgegenzubringen. „Diese Pandemie geht uns allen ordentlich auf die Nerven“, sagte er im unnachahmlichen Vander-Bellen-Ton, der immer einen Schuss Ironie und Leichtigkeit in die schwergewichtige Botschaft rührt. Das erhöht die Verträglichkeit. Menschliche Grundbedürfnisse nach Gemeinschaft, Vertrauen, Sicherheit und Nähe stünden auf dem Spiel, sagte er. Aber, und hier
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unterscheidet sich Van der Bellen von jenen Mahnern, die gestern durch die Wiener Innenstadt zogen, nicht die Maßnahmen gefährden die Erfüllung dieser Bedürfnisse, sondern eine „weltweite Pandemie“. Das mag selbstverständlich klingen, ist es aber offenbar nicht.
Wer kann gemeint sein mit der Mahnung, die Krise sei nur mit „rechtzeitiger, verständlicher, nachvollziehbarer Kommunikation“zu bewältigen? Das Durcheinander der letzten Tage, die Publikation widersprüchlicher Infektionszahlen und die hektische Verschiebung des Termins für das Inkrafttreten einer wichtigen Verordnung zur Verschärfung der CoronaMaßnahmen weisen in die richtige Richtung. Die Bundesregierung gefährdet mit dissonanter Kommunikation gerade ihr wichtigstes Instrument für das Management der Krise: das Vertrauen der Bevölkerung.
„Es ist unübersehbar, dass gerade viel Wut entsteht“, beobachtet der Redner. „Wut und Angst sind keine guten Ratgeber“, sagt er und fügt einen Rat an, der leicht gesagt, aber schwer befolgt ist. „Wie wäre es, wenn wir die Wut einfach sein lassen würden?“Wir sollten zur Kenntnis nehmen, „dass diese Pandemie nicht die Absicht von irgendjemandem ist“. Gerade das aber schürt Wut und befeuert die Suche nach Schuldigen, von der Van der Bellen dringend abrät. Es wäre keine präsidentielle Rede, würde sie nicht zur Mäßigung aufrufen. „Versuchen wir, geduldig miteinander zu sein. Und mit uns selber.“istig und tröstlich zugleich wirkt der rhetorische Trick, unsere Gegenwart aus der Perspektive der Zukunft zu betrachten. Dann, so meinte Van der Bellen, sollten wir sagen können: „Wir haben niemals, auch in der schwierigsten Zeit nicht, unsere Vernunft, unser Mitgefühl, unsere Gemeinschaft vergessen.“Auf die sei unsere wunderschöne Heimat schließlich gebaut, endet der Präsident zuversichtlich. Dafür brauchen wir ihn.
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