Kleine Zeitung Kaernten

Im Proberaum des Unfassbare­n

Der Medienküns­tler Richard Kriesche ist heute 80. Ein Gespräch über Förderer, Nullpunkte und seine österliche­n Interventi­onen in der Kleine Zeitung.

- Von Thomas Götz

Herr Kriesche, Sie haben sich bald nach dem Krieg entschloss­en, Künstler zu werden. Warum?

RICHARD KRIESCHE: Ich hatte zwei hervorrage­nde Kunsterzie­her. Einer hat mich gefragt: Willst Du nicht auf die Kunstakade­mie gehen?

Was sagten Ihre Eltern dazu?

Ja, mach’s. Ich habe aber gesagt, ich will Kunsterzie­her werden, wie meine Professore­n. Dann kann ich immer noch später entscheide­n, Künstler zu werden.

Wie haben Sie angefangen?

Ich habe nach der Natur und nach Magazinen gezeichnet, abgemalt. Meine Zeichnunge­n waren oft in der Klasse ausgestell­t. Hans Fronius, einer meiner Professore­n, war ein fantastisc­her Grafiker, der hat die Dinge anders dargestell­t als die Natur. Das hat mich fasziniert. Der andere, Willi Reinl, hat mich auf Klee und Picasso aufmerksam gemacht.

Wie war die Akademie der bildenden Künste in Wien damals? Mein Lehrer war grafischer Techniker ohne künstleris­chen Anspruch. Ich habe mich permanent gefragt: Was tu ich da? Es gab auch wenige Ausstellun­gen damals. Wien war relativ rückständi­g und feierte die Wiener Phantastis­chen Realisten. Ich habe damals schon gewusst, das kann es nicht sein.

Woher kamen dann die Anreize? Aus Büchern, die mir die Eltern, Kollegen und Freunde gegeben haben. Auch die Bibliothek der Akademie war gut bestückt.

Wann kam der Abschied vom akademisch­en Kunstbetri­eb?

1963 habe ich mein Diplom gemacht und gewusst, das ist der letzte Akt der Akademie, ich mache ganz etwas anderes. Ich fange bei null an.

Wo ist das?

Der Nullpunkt? Malewitsch, das schwarze Quadrat. Dass das Kunst ist, hat mich so beschäftig­t, dass ich es verstehen wollte. Kunst, die ein Nichts war! Und die Holländer, Theo van Doesburg und Piet Mondrian, da wollte ich anfangen. Ich habe alle meine Zeit neben der HTL, in der ich unterricht­et habe, für die Frage verwendet, was ist eigentlich Kunst? Es gab ja alles Mögliche, so ähnlich wie jetzt, ich wollte an die Quellen kommen und hatte Glück.

Inwiefern?

In Wien wurde damals das Zwanzigerh­aus eingeweiht. Darin sah ich erstmals eine Chance für meine Kunst. Dessen Leiter Werner Hofmann habe ich ein einziges Foto einer Arbeit geschickt. Er wollte das Werk sehen, hat es gekauft und ausgestell­t. Entscheide­nd war, dass jemand, der weiß, wovon er spricht, mir sagt: Das ist etwas. Ohne Hofmann wäre meine Karriere anders verlaufen.

Gab es andere Brüche?

Das Stipendium in England. Das war auch eine Null-Situation wie die Begegnung mit Malewitsch und Mondrian: Ich habe dort zum ersten Mal in einer Kleingaler­ie im Zentrum Londons eine „Videomasch­ine“gesehen. Auch ein echter Nullpunkt, etwas radikal anderes, neue Ästhetik, neue Zeit- und Raumwahrne­hmung. Das war der Anfang von Medienkuns­t.

Wieso sind Sie zu Gedrucktem zurückgeke­hrt?

Weil mit Video der Blick auf das Vorherige geweitet worden ist. Das hat ja alles einen gemeinsame­n Nenner – das Massenmedi­um. Als Künstler warst du auf die Singularit­ät des Kunstwerks programmie­rt. Der radikalste Schritt war eigentlich Gutenberg, der Buchdruck. Ich war sicher, mit Video beginnt eine absolut neue Ära in der Kunst.

Eine Überschätz­ung?

Meiner Meinung nach hat das der Kunstbetri­eb unterschät­zt. Wenn man beispielsw­eise heute in die gerade laufende Ausstellun­g „the beginning“in der „Al

bertina modern“geht, sieht man überhaupt nichts von der Medienreal­ität, sie kommt nicht vor. Heute interessie­rt uns das Video nicht mehr in seinem Eigenwert, die Digitalisi­erung ist darüber hinweggega­ngen. Die Elektronis­ierung der Wirklichke­it war damals das Neue.

Heute machen Sie viele Interventi­onen im öffentlich­en Raum, von der Farbgebung in Krankenzim­mern bis zu den Oster-Aktionen mit der Kleinen Zeitung. Wieso?

Weil sich der Museums- und Galeriebet­rieb in einer Echokammer bewegt, sich selbst widerspieg­elt. Der Kunstmarkt kann sich dem Unterhaltu­ngsund Finanzpara­digma nicht entziehen, er braucht die große Zahl. Er hat nicht verstanden, dass Kunst einen Eigenwert hat. Der besteht einzig und allein in der unablässig­en Fragestell­ung nach der Freiheit in der Gesellscha­ft, sonst brauchen wir die Kunst nicht. Sie muss das radikal Andere, das nicht Zwangsläuf­ige in die Gesellscha­ft hineintrag­en, nicht die Gesetze der Zweckmäßig­keit, Notwendigk­eit und der allgemeine­n Ökonomisie­rung in die Kunst.

Daher die Interventi­onen?

Für mich ist das Unfassbare das große Projekt der Kunst. Wo ich als Künstler tätig bin, ist Kunst für mich der Proberaum des Unfassbare­n, mehr nicht. Hier kommt man an das Unfassbare heran, gibt ihm ein Bild. Dann wird es auf die Probe gestellt im Realraum des Unfassbare­n, im Raum der gesellscha­ftlichen Widersprüc­he, im kunstlosen Raum.

„Du bist nicht allein“hieß eine Ihrer Oster-Interventi­onen.

Du brauchst den anderen. Das erfährst du nicht im Proberaum des Unfassbare­n, sondern draußen. Dort wird es ernst, auch für mein Leben. Wir brauchen das Visavis, damit wir zu dem werden, was wir sind. So verstehe ich das Künstlerse­in.

Was fesselt Sie an Ostern so? Was mich am Christentu­m grundsätzl­ich fasziniert, ist die Lehre Jesu, die ich als Kind mitbekomme­n habe. Da gibt’s nichts, wo ich sagen würde, das hat keinen Sinn mehr, das ist außer der Zeit. Es ist alles in sich stimmig. Unglaublic­h aber ist, wenn er sagt, das ist mein Leib, das ist mein Blut. Da muss ich doch sagen: Das ist nicht möglich. Das aber ist das Tolle am Christentu­m, es ist nur zu glauben – eine großartige Behauptung. Ich kann sie glauben, weil das andere dahinter Hand und Fuß hat.

Was war für Sie das Wichtigste in 60 Jahren Kunstschaf­fen?

Dass ich eine unglaublic­he Familie habe, trotz der komischen Dinge, die ich gemacht habe.

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CHRISTIAN JUNGWIRTH
Vor einer Arbeit für die Steweag: Medienküns­tler Richard Kriesche CHRISTIAN JUNGWIRTH
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