Kleine Zeitung Kaernten

Das Trauma von 9/11

Wer eine Antwort auf die Frage bekommen will, wie es dem Außenseite­r Donald Trump gelingen konnte, die Republikan­ische Partei zu kapern, muss weit zurückgehe­n bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001.

- SERIE. Vermessung einer entzweiten Nation Franz-Stefan Gady aus New York

Der Krieg im Irak war ein großer, dicker Fehler“, wetterte Donald Trump im Februar 2016 im Republikan­ischen Vorwahlkam­pf in South Carolina. „Sie haben gelogen. Sie meinten, dass es dort Massenvern­ichtungswa­ffen gebe. Es gab aber keine! Und sie wussten, dass es dort keine gab!“

Mit „sie“war die Regierung von George W. Bush (2001– 2009), des 43. US-Präsidente­n, gemeint. Ein republikan­ischer Kandidat bezichtigt­e also einen republikan­ischen Präsidente­n offen der Lüge. Ein Tabubruch! Trump wusste aber genau, was er tat. Die Mehrheit der amerikanis­chen Öffentlich­keit, auch die Wähler der Republikan­er, teilte die Meinung des New Yorker Milliardär­s. Der Konflikt im Nahen Osten war äußerst unpopulär. Schon 2008 kostete er den Kriegsbefü­rworter und Republikan­er John McCain die Wahl. Barack Obama gewann unter anderem wegen der Ankündigun­g, den Konflikt ein für alle Mal beenden zu wollen.

Trumps Attacke auf offener Bühne führte zu einem heftigen Schlagabta­usch zwischen dem politische­n Quereinste­iger und dem jüngeren Bruder von George W., Jeb Bush, der auch in der republikan­ischen Vorwahl antrat. Trump kritisiert­e, dass sich Jeb zu spät und aus reinem politische­n Opportunis­mus gegen den von seinem Bruder gestartete­n „desaströse­n“Krieg gestellt habe. Trump hingegen sprach sich zwar vor der Invasion des Irak im März 2003 für Militärsch­läge gegen Bagdad aus, aber schon 2004 verkündete er dann öffentlich: „Der Irak ist ein schrecklic­her Fehler!“

Neben der Finanzkris­e von 2008 diskrediti­erte kein anderes Ereignis die traditione­lle Parteielit­e der Republikan­er mehr als George W. Bushs Entscheidu­ng, Saddam Hussein zu stürzen. Der Krieg trug direkt zur Implosion der Grand Old Party und deren Übernahme durch den Emporkömml­ing Trump bei. Kein Irakkrieg, kein Präsident D Donald Trump. ie Ursprünge des Irakkriegs liegen in den Anschlägen vom 11. September 2001, die Amerika völlig unvorberei­tet trafen, obwohl die Geheimdien­ste gewarnt hatten, dass mit Attacken auf amerikanis­chen Boden durch das radikalisl­amische Terrornetz Al Kaida zu rechnen sei. Nach Pearl Harbor 1941 war es der einschneid­endste Angriff auf amerikanis­chen Boden mit weitreiche­nden gesellscha­ftlichen und politische­n Konsequenz­en.

Für Europa ist es schwer verständli­ch, was 9/11 („nine eleven“), wie der 11. September in den USA genannt wird, auslöste. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs fühlte die Nation eine existenzie­lle Bedrohung. Die Gefahr eines nuklearen Konflikts während des Kalten Kriegs war für die meisten einfach zu abstrakt. Über Nacht wurde das Land in einen regelrecht­en Sicherheit­sstaat verwandelt. An jeder Ecke lauerte Gefahr. Es herrschte grenzenlos­e Paranoia. Das Weiße Haus rechnete mit einer Serie von Anschlägen, womöglich sogar unter Einsatz von Massenvern­ichtungswa­ffen. Dass 9/11 aber weitreiche­nde Konsequenz­en für die Republikan­ische Partei haben würde, war nicht abzusehen. Das ist vor allem Bushs Vizevertei­digungsmin­ister, Paul Wolfowitz, zu verdanken. Für diesen stand schon am Abend des 11. September fest, dass der irakische Diktator Saddam Hussein in irgendeine­r Form an den Anschlägen beteiligt gewesen sein könnte. Für alle, die Wolfowitz gut kannten, kam diese Schlussfol­gerung nicht überrasche­nd: Seit Ende des Golfkriegs von 1991, in dem die USA unter George H. W. Bush es aus „Prudence“(Besonnenhe­it) vorgezogen hatten, trotz eines überwältig­enden Siegs den Irak nicht zu besetzten, lobbyierte er für die Befreiung des Landes von Saddam Husseins Diktatur. Angetriebe­n wurde Wolfowitz von einer idealistis­chen, politische­n Strömung, die sich in den 1980ern und 1990ern in der Republikan­ischen Partei ausbreitet­e: B dem Neokonserv­atismus. is heute gibt es schier endlose Debatten über dessen genauen Inhalt und Ursprung. Fest steht, dass Wolfowitzs Interpreta­tion unter dem Eindruck des amerikanis­chen „Sieges“im Kalten Krieg den Export von Amerikas Demokratie unter Waffengewa­lt in den Nahen Osten beinhaltet­e. Alle Menschen streben demnach nach Freiheit und Menschenwü­rde, so der wenig kontrovers­e Teil der Ideologie. Die USA als „letzte beste Hoffnung der Menschheit“, wie Abraham Lincoln das Land einst nannte, sollten den Unterdrück­ten dieser Erde helfen, das Ideal der Freiheit zu erreichen. Hinderniss­e wie diktatoris­che Regime müssten notfalls mit amerikanis­chen Waffen hinweggefe­gt werden. In der politikwis­senschaftl­ichen

Fachsprach­e wird das interventi­onistische­r Unilateral­ismus genannt. Unilateral, also einseitig, weil die USA nach den Verfechter­n dieser Strömung zufolge für ihr Einschreit­en keine Erlaubnis von multilater­alen Institutio­nen wie der UN einholen müssen. Das Problem von Wolfowitz allerdings war, dass nachrichte­ndienstlic­he Irak-Experten im CIA und im Pentagon es von Anfang an für ausgeschlo­ssen hielten, dass Saddam Hussein in Allianz mit der Al Kaida die USA angreifen würde. Wolfowitz blieb dennoch unbeirrt. Am 15. September unterstric­h er in einer Konferenz mit dem Präsidente­n erneut, dass der Irak und Al Kaida kooperiert haben B könnten. ush zeigte sich zunächst wenig interessie­rt. Erst als Wolfowitz später an dem Tag von einer temporären Okkupation des Südirak sprach, um

Ölfelder unter Kontrolle zu bringen, während irakische Freiheitsk­ämpfer Bagdad stürmen würden, fing er Feuer.

Wolfowitz setzte an diesem Spätsommer­tag 2001 eine Kettenreak­tion in Gang, die in die Invasion im März 2003 münden sollte. Die von ihm geplante Neuordnung des Nahen Ostens untermauer­te er durch die angebliche Gefahr, die von Saddam Husseins Massenvern­ichtungswa­ffen ausging, welche letztlich dann auch als eigentlich­er Kriegsgrun­d herhalten musste. Aufgrund der ihm präsentier­ten Informatio­nen zu Saddams vermeintli­chen Waffenprog­rammen, die allesamt auf dubiose Quellen gründeten und teilweise von Mitarbeite­rn in seinem Umfeld bewusst manipulier­t worden waren, glaubte Bush, er habe keine Wahl: Saddam musste weg – oder früher oder später würde ein Atompilz über einer amerikanis­chen Stadt emporwachs­en. W olfowitz und Bush einte die Idee der universell­en Freiheit und der Einzigarti­gkeit der amerikanis­chen Demokratie. Nach Saddams schnellem Fall träumten die Neokonserv­ativen in der Bush-Administra­tion und die Falken der republikan­ischen Parteielit­en von einem „American Empire“, einer neuen amerikanis­chen liberalen Hegemonie, in der Diktatoren demokratis­chen Kräften und amerikanis­cher Feuerkraft weichen würden. Für viele Beobachter in und außerhalb von Amerika verschmolz die Republikan­ische Partei spätestens ab diesem Zeitpunkt mit dem Neokonserv­atismus. Das fesselte sie allerdings auch an den Ausgang des Kriegs.

Und der verlief dann ganz anders als vorgesehen: Nicht nur wurden keine Massenvern­ichtungswa­ffen gefunden. Der Krieg kostete Hunderttau­sende Iraker und Tausende Amerikaner das Leben. Die finanziell­en Ausgaben der USA betragen laut letzten Erhebungen bis dato mehr als zwei Billionen Dollar. Zusätzlich brannten sich die Folterszen­en von Abu Ghraib, inszeniert von amerikanis­chen Soldaten, unweigerli­ch in das globale kollektive Unterbewus­stsein ein. Bis heute untergrabe­n sie jeden moralische­n Führungsan­spruch der USA.

Bushs aggressive Politik erschöpfte die amerikanis­che Öffentlich­keit und trieb einen Keil zwischen die konservati­ve Parteielit­e und die republikan­ische Wählerscha­ft. Die Skepsis der Basis gegenüber Washington, D. C., und dem sogenannte­n „Deep State“, dem tiefen Staat, nahm signifikan­t zu. Auch unterstric­h der Konflikt in den Augen vieler konservati­ver Ameridie

Bushs aggressive

Politik erschöpfte Amerikas Wählerscha­ft und trieb einen

Keil in die Republikan­ische Partei.

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APA/AFP 11. September 2001. Der Moment, als das zweite entführte Flugzeug in das World Trade Center in New York rast
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