Onlineshoppen und Lockdown: wann das Einkaufen zur Sucht wird und wie man die Warnsignaleerkennt.
Beim Online-Shopping ist im Lockdown alles nur einen Klick entfernt. Allzu schnell wird das Vergnügen jedoch zur Sucht.
Gesehen. Geklickt. Gekauft. Der Einkauf via Mausklick erfreut sich wachsender Beliebtheit. 66,3 Prozent der Österreicher im Alter von 16 bis 74 Jahren gaben im Zeitraum April bis Juni 2020 in einer Erhebung an, das Internet innerhalb der letzten zwölf Monate zum Online-Einkauf genutzt zu haben. Kein Wunder: Die virtuellen Shops sind rund um die Uhr geöffnet und vermitteln auch während des Lockdowns das Gefühl, auf nichts verzichten zu müssen.
Für Kaufsüchtige oder Kaufsuchtgefährdete ist genau das verhängnisvoll. Suchtexperten berichten, dass die Zahl der von Kaufsucht Betroffenen durch die Pandemie steige. Weil man sich aufgrund der Ausgangsbeschränkungen mehr zu Hause aufhalte, sei die Verlockung, im Internet einzukaufen, größer geworden. „Kaufsucht hat sehr viel mit Kontrollverlust zu tun“, sagt Roland Mader, Abteilungsvorstand der Station für Alkoholund Medikamentensucht sowie stoffungebundene Süchte wie Kauf- oder Spielsucht am Anton Proksch Institut in Wien.
„Kontrollverlust bedeutet dann, nicht aufhören zu können, immer mehr zu kaufen.“Während des Einkaufens gehe es Betroffenen gut, danach komme es aber schnell wieder zu negativen Gefühlen. Der vermeintliche Ausweg: Shoppen.
Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Belohnungssystem im Gehirn – Glückshormone wie Dopamin und Endorphine werden ausgeschüttet. Das Problem: Das Bestellte zu erhalten oder mit dem Gekauften nach Hause zu gehen, sollte normalerweise glücklich machen. Dies sei bei Kaufsüchtigen jedoch nicht der Fall, häufig werde das Gekaufte nicht einmal ausgepackt: „Den Betroffenen geht es nur um den Akt des Kaufens.“Da es Kaufsüchtigen um die Handlung des Kaufens geht, würden Betroffene häufig unnötige Dinge kaufen.
Kaufsucht bringt aber nicht nur finanzielle, sondern auch soziale Probleme mit sich: „Irgendwann kommt die Familie drauf und dann kommt es zu Konflikten“, sagt Mader. Kurzfristig mache das Shoppen den Betroffenen glücklich, auf Dauer führe die Sucht jedoch häufig zu sozialem Rückzug oder psychischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen.
Handelt es sich um eine ausgeprägte Kaufsucht, kann sie sogar existenzbedrohend werden: „Verschulden ist in so einem Fall ein typischer Schaden. Dann werden die eigenen finanziellen Möglichkeiten überzogen mit allen Konsequenzen – Beschaffungskriminalität, Lügen, Betrügen, Borgen, nicht Zurückzahlen – ähnlich wie bei einer Glücksspielsucht“, weiß Manfred Geishofer, Psychotherapeut und Geschäftsführer der b.a.s. Einer Studie der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2017 zufolge sind elf Prozent der Österreicher kaufsüchtig. Als kaufsuchtgefährdet – das sind Menschen mit kompensatorischem
Kaufverhalten – gilt sogar jeder Vierte. Obwohl das Problem Kaufsucht weitreichende Folgen hat, wird es bagatellisiert. Kaufsucht gilt zwar als nicht stoffgebundene Sucht, offiziell als Krankheit anerkannt wird sie jedoch nicht.
Dass viele Menschen versuchen, ihre Gefühle über das Shoppen zu regulieren, habe aber auch noch einen anderen Grund: „Wir leben in einer Kultur, die für Gefühle wie Angst, Wut, Trauer – Gefühle, die wir als ,negativ‘ bezeichnen – keinen Platz hat. Wir haben nicht gelernt, entsprechende Mechanismen zu entwickeln, um damit umzugehen.“Der Psychotherapeut rät deswegen dazu, sich selbst gegenüber Aufmerksamkeit zu entwickeln und sich darüber bewusst zu werden, inwiefern Verhaltensweisen wie das exzessive Kaufen das Leben bestimmen würden.
Ähnlich sieht das Roland Mader vom Anton Proksch Institut: „Wenn ich kaufe, weil es mir nicht gut geht: Warum geht es mir nicht gut? Was kann ich tun, damit es mir besser geht? Würde es mir helfen, mit jemandem zu reden? Würde mir ein Hobby
helfen, vielleicht Sport?“Kommt man aus der Kaufsucht aus eigener Anstrengung nicht heraus, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden (siehe Kasten oben).
Bei allen Risiken, die der Lockdown für Kaufsüchtige oder Kaufsuchtgefährdete mit sich bringt, könne er aber auch einen positiven Effekt haben. Die Überlegung Maders: Infolge der Ausgangsbeschränkungen nehme der soziale Druck durch Vergleiche ab. „Es bringt nichts, wenn ich jetzt zehn Handtaschen bestelle, weil ich sie niemandem zeigen kann.“Das Einkaufen sei dadurch weniger wichtig. Für kaufsüchtige oder kaufsuchtgefährdete Personen kann der Lockdown damit auch zur Chance werden.