Weg mit dem Rollator!
Unter Joe Biden werden sich die transatlantischen Beziehungen wieder normalisieren. Das entbindet die Europäer nicht von der Notwendigkeit, sich von den USA abzunabeln.
Donald Trump räumt das Feld, Joe Biden übernimmt. Ab heute weht ein neuer Wind in den USA. Nach vier Jahren hartnäckigen atlantischen Tiefs ist auch in Europa die Erleichterung darüber groß, ja, wenn man manchen euphorischen Kommentatoren Glauben schenken darf, dann werden mit dem Machtwechsel im Weißen Haus jetzt paradiesische Zustände anbrechen.
Das Verhältnis Europas zu den USA ist schon lange verkorkst und schwankt je nach geopolitischer Großwetterlage zwischen Anlehnung und antiamerikanisch grundierter Distanz.
Tatsache ist, dass es sich bei der oft beschworenen transatlantischen Partnerschaft von Beginn an um eine Beziehung auf schiefer Ebene handelte. Weil die nach der Teilung des Kontinents in Jalta nach Kriegsende verbliebene freie demokratische Hälfte Europas dazu aus eigener Kraft nicht imstande war, übernahm Amerika nach 1945 durchaus auch im eigenen Interesse ihren Schutz vor dem aggressiv ausgreifenden Sowjetimperium. Und auch wenn an die Stelle der kommunistischen Diktatur inzwischen
stefan.winkler@kleinezeitung.at
Putins Russland getreten ist, hat sich 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und mehr als 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs am Mündelstatus der Europäer nichts geändert: Militärisch hängen sie weiter am Rockzipfel Amerikas.
Das ist einerseits bequem, schafft andererseits aber Frust, der mit einem Gefühl vermeintlicher moralischer Überlegenheit kompensiert wird, das man die sich immer wieder in fragwürdige Kriege verstrickende Supermacht USA bei jeder Gelegenheit spüren lässt.
Der verrückte Donald Trump stillte wie kein Zweiter verlässlich das Bedürfnis der Europäer nach einem dunklen Amerika, das sie in ihrem eigenen Edelmut bestätigt. Blöderweise hielt er sich aber nicht an den wichtigeren Teil des Skripts, der vorsieht, dass, wenn es brenzlig wird, Washington ungeachtet aller Dünkel und Schmähungen selbstverständlich zur Stelle eilt und die Kastanien aus dem Feuer holt. Für diese Trittbrettfahrerei ließ Trump die Bündnispartner vom ersten Tag im Amt an nicht nur seine volle Verachtung spüren. Harsch rückte er ihnen mit der Forderung nach einer Erhöhung ihrer Militärhaushalte zu Leibe. it Biden wird wieder ein sanfterer Ton einkehren. Viel wird von Multilateralismus die Rede sein, von Respekt und Wertschätzung. Für das verletzte Ego der Europäer wird das Balsam sein. Aber auch Washington kann die Verbesserung der Beziehungen nur nützen. Ob die schönen Worte aus dem Weißen Haus verteidigungspolitisch auch wieder die portofreie Lieferung des Rollators „Made in USA“inkludieren, steht auf einem anderen Blatt.
Die mit einer Priorisierung des pazifischen Raums verbundene Abkehr Amerikas von Europa hat schließlich nicht erst unter Trump begonnen. Dieser erteilte den Europäern nur die bittere Lektion, dass sie endlich lernen müssen, auf eigenen Beine zu stehen. An dieser Notwendigkeit wird sich auch unter Joe Biden nichts ändern.
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