Kleine Zeitung Kaernten

Weg mit dem Rollator!

Unter Joe Biden werden sich die transatlan­tischen Beziehunge­n wieder normalisie­ren. Das entbindet die Europäer nicht von der Notwendigk­eit, sich von den USA abzunabeln.

- Stefan Winkler

Donald Trump räumt das Feld, Joe Biden übernimmt. Ab heute weht ein neuer Wind in den USA. Nach vier Jahren hartnäckig­en atlantisch­en Tiefs ist auch in Europa die Erleichter­ung darüber groß, ja, wenn man manchen euphorisch­en Kommentato­ren Glauben schenken darf, dann werden mit dem Machtwechs­el im Weißen Haus jetzt paradiesis­che Zustände anbrechen.

Das Verhältnis Europas zu den USA ist schon lange verkorkst und schwankt je nach geopolitis­cher Großwetter­lage zwischen Anlehnung und antiamerik­anisch grundierte­r Distanz.

Tatsache ist, dass es sich bei der oft beschworen­en transatlan­tischen Partnersch­aft von Beginn an um eine Beziehung auf schiefer Ebene handelte. Weil die nach der Teilung des Kontinents in Jalta nach Kriegsende verblieben­e freie demokratis­che Hälfte Europas dazu aus eigener Kraft nicht imstande war, übernahm Amerika nach 1945 durchaus auch im eigenen Interesse ihren Schutz vor dem aggressiv ausgreifen­den Sowjetimpe­rium. Und auch wenn an die Stelle der kommunisti­schen Diktatur inzwischen

stefan.winkler@kleinezeit­ung.at

Putins Russland getreten ist, hat sich 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und mehr als 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs am Mündelstat­us der Europäer nichts geändert: Militärisc­h hängen sie weiter am Rockzipfel Amerikas.

Das ist einerseits bequem, schafft anderersei­ts aber Frust, der mit einem Gefühl vermeintli­cher moralische­r Überlegenh­eit kompensier­t wird, das man die sich immer wieder in fragwürdig­e Kriege verstricke­nde Supermacht USA bei jeder Gelegenhei­t spüren lässt.

Der verrückte Donald Trump stillte wie kein Zweiter verlässlic­h das Bedürfnis der Europäer nach einem dunklen Amerika, das sie in ihrem eigenen Edelmut bestätigt. Blöderweis­e hielt er sich aber nicht an den wichtigere­n Teil des Skripts, der vorsieht, dass, wenn es brenzlig wird, Washington ungeachtet aller Dünkel und Schmähunge­n selbstvers­tändlich zur Stelle eilt und die Kastanien aus dem Feuer holt. Für diese Trittbrett­fahrerei ließ Trump die Bündnispar­tner vom ersten Tag im Amt an nicht nur seine volle Verachtung spüren. Harsch rückte er ihnen mit der Forderung nach einer Erhöhung ihrer Militärhau­shalte zu Leibe. it Biden wird wieder ein sanfterer Ton einkehren. Viel wird von Multilater­alismus die Rede sein, von Respekt und Wertschätz­ung. Für das verletzte Ego der Europäer wird das Balsam sein. Aber auch Washington kann die Verbesseru­ng der Beziehunge­n nur nützen. Ob die schönen Worte aus dem Weißen Haus verteidigu­ngspolitis­ch auch wieder die portofreie Lieferung des Rollators „Made in USA“inkludiere­n, steht auf einem anderen Blatt.

Die mit einer Priorisier­ung des pazifische­n Raums verbundene Abkehr Amerikas von Europa hat schließlic­h nicht erst unter Trump begonnen. Dieser erteilte den Europäern nur die bittere Lektion, dass sie endlich lernen müssen, auf eigenen Beine zu stehen. An dieser Notwendigk­eit wird sich auch unter Joe Biden nichts ändern.

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Geheime Höhepunkte im Lockdown

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