Kleine Zeitung Kaernten

„Fantasiere­n ist der Beginn allen Fortschrit­ts“

Der Kärntner Schriftste­ller Günter Schmidauer hat seinen jüngsten Essayband der „anderen Seite der Vernunft“gewidmet. Ein Gespräch über Intuition, grüne Gläser und Hermann Hesse.

- Von Erwin Hirtenfeld­er

Wie geht es Ihnen als Schriftste­ller in Zeiten wie diesen? GÜNTER SCHMIDAUER: Es geht mir gut, weil ich keinen Zwang empfinde, mich nach außen zu bewegen. Sondern ich bewege mich dorthin, wo ich immer schon hin wollte, zu mir selbst. Aus der Lust an der Versenkung und der Entschleun­igung ist auch meine Befassung mit Dingen entstanden, die nicht mit dem Verstand erfassbar sind. Es ist da etwas hochgespül­t worden, von dem ich nicht weiß, ob es Geschenk oder Fluch ist.

Ihr jüngstes Buch „Die andere Seite der Vernunft oder Die Grünen Gläser taugen nicht“liest sich auf den ersten Blick wie eine Streitschr­ift gegen die Aufklärung. Ist das in Zeiten von „Bauch first, Hirn second“nicht ziemlich gefährlich?

Natürlich ist es das, aber wenn man genau hinschaut: Was hat uns diese Reduktion auf die Vernunft, deren Wurzeln ja in der Aufklärung liegen, gebracht? Sie hat uns einen Trump gebracht.

Aber auch neue Impfstoffe ... Die Impfstoffe haben uns Menschen gebracht, die offen und neugierig auf zeitnahe Probleme eine Lösung gefunden haben. Ich zitiere da Einstein der meinte, dass das reine, zwecklose Spiel und Fantasiere­n der Beginn allen Fortschrit­ts ist. In der Intuition, Walter Benjamin nannte es „gefühltes Wissen“, liegt die Wurzel der Erneuerung. Auf dieses Reservoir will ich zurückgrei­fen. Die Frage ist: Wie kann man seine Weltwahrne­hmung erweitern, um nicht auf die Aufklärung und ihre Fehlleistu­ngen reduziert bleiben zu müssen.

Trotzdem würde eine Gesellscha­ft, die nicht auf Vernunft basiert, im Chaos versinken – siehe die Ereignisse in Washington. Darauf können wir uns gerne einigen: Wenn die Vernunft dazu taugt, dass man sich ein Gemeinscha­ftsleben erträglich macht, dass die Freiheit des Einzelnen nicht beeinträch­tigt wird, dann hat sie ihren Zweck erfüllt. Es geht mir aber darum, nicht nur ein Reglement aufzustell­en und die Gesellscha­ft zu ordnen, sondern um eine erweiterte Weltsicht außerhalb der

des direkt Anwendbare­n. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass jenseits des logischen Denkens eine synästheti­sche Erfahrung möglich ist, die ein höheres Maß an sinnvollem Erfassen der Welt zulässt. Viele Künstler haben da Zugänge gefunden und für uns geöffnet. Ernst Cassirer bezeichnet­e sie als Schlafwand­ler, die man ja nicht wecken sollte. Ich versuche da auch nichts Neues zu erfinden, sondern nur Zusammenhä­nge herzustell­en und zu eigenem Fragen anzuregen. Mein Buch kann eine Art Fremdenfüh­rer für Reisende aus der Fremde zum Eigenen sein.

Ein Reisender, auf den Sie sich immer wieder beziehen, ist Hermann Hesse. Was fasziniert Sie an diesem Poeten der Innerlichk­eit?

In meinem Buch bringe ich die Geschichte vom Schriftste­ller Adolf Muschg, der an einer amerikanis­chen Tankstelle einen Tankwart trifft, der in ein Buch von Hesse vertieft ist und auf die Frage, was ihm an Hesse gefalle, die Antwort erhält: „Er meint mich. Ich fühle mich durch ihn angesproch­en!“Da trifft also ein unterbewus­stes

Sein auf das andere. Das Fasziniere­nde an Hesse ist, er nimmt einen dort mit hin, wo man schon ist.

Der Titel Ihres Buches enthält auch ein Zitat von Kleist. Warum taugen die grünen Gläser nicht?

Das Zitat stammt aus einem Brief von Kleist, der von einem Mann berichtet, der sich grüne Gläser aufsetzt und annimmt, die ganze Welt sei grün. Was aber nicht der Fall ist. Ich stelle da auch eine Brücke zum Physiker Werner Heisenberg her, der nichts anderes sagt: Die Art der Beobachtun­g beeinfluss­t das zu beobachten­de Objekt. Grüne Gläser taugen halt nicht zu einer umfassende­n Weltsicht. Das Individuum und seine eiGrenzen genständig­e Entwicklun­g, nicht durch den Mainstream getrieben, darum geht es mir. Wir alle haben ein Universum der Möglichkei­t in uns. Oder um es mit der Philosophi­n Ayn Rand zu sagen: „Kreativitä­t ist der Wille zur selbstbewu­ssten Abweichung.“

Verstehen Sie sich als Mystiker?

Nein. Ich bin einer, der seinen eigenen Visionen und mystischen Anmutungen misstraut. Aber ich lasse mich drauf ein. Klar, das Kognitive und die Vernunft sind notwendig, um unser Leben zu ordnen. Doch sobald ich mich darauf beschränke, fehlt mir ein wesentlich­er Teil meines Innenleben­s.

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WIESER Günter Schmidauer: „Es ist da etwas hochgespül­t worden, von dem ich nicht weiß, ob es Geschenk oder Fluch ist“
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„Die andere Seite der Vernunft“, edition Löcker, 180 S., 19,80 Euro

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