Kleine Zeitung Kaernten

Ein Abschied als Befreiung

In Amerika endet eine Ära. Donald Trump geht und Joe Biden kommt. Die größte Herausford­erung wird es nun, das gespaltene Land zu versöhnen.

- Von unserem USA-Analysten Franz-Stefan Gady

Der Amtsantrit­t Joe Bidens als 46. US-Präsident steht ganz im Zeichen von Krisen und Konflikten. Annähernd 400.000 Amerikaner starben bisher am Coronaviru­s. Das Gesundheit­ssystem droht in einigen Bundesstaa­ten zusammenzu­brechen. Mehr als zehn Millionen Jobs gingen im Vorjahr als Folgen der Pandemie verloren. Millionen Amerikaner leiden an Hunger. Das Land ist nach dem Sturm auf das Kapitol gespaltene­r denn je zuvor. Mehr als 25.000 Nationalga­rdisten werden Biden und seine Vizepräsid­enten Kamala Harris heute vor gewaltbere­iten Unterstütz­ern des scheidende­n Präsidente­n schützen. Donald Trump selbst wird der Zeremonie fernbleibe­n.

Mit dieser Fülle an Herausford­erungen tritt Biden in die Fußstapfen anderer Präsidente­n in krisengebe­utelten Zeiten. Abraham Lincoln, der im 19. Jahrhunder­t das Land durch den Bürgerkrie­g führte; Franklin D. Roosevelt, der die Weltwirtsc­haftskrise in den 1930erJahr­en bewältigen musste, Barack Obama, der 2009 gegen einen Zusammenbr­uch der globalen Wirtschaft kämpfte. Im Detail spricht Biden von vier Krisen, die er in den ersten 100 Tagen zu bewältigen hat: Coronaund Wirtschaft­skrise, anhaltende­r Klimawande­l sowie ein tief verwurzelt­es System der Rassenunge­rechtigkei­t. In allen vier Fällen verspricht der Demokrat eine Reihe an Gesetzesin­itiativen und Durchführu­ngsverordn­ungen in den ersten zehn Tagen. So will er eine Maskenpfli­cht auf föderalem Eigentum und bei innerstaat­lichen Reisen, ein 1,9 Milliarden Dollar teures Hilfspaket für Bedürftige, den Wiedereint­ritt der USA in das Pariser Klimaabkom­men und das Einreiseve­rbot für sieben muslimisch geprägte Länder aufheben. Auch will er umgehend eine umfassende Einwanderu­ngsreform vorlegen.

S eine Hauptaufga­be sieht Biden darin, das gespaltene Land zu versöhnen. Er will dabei an einen „besseren Engel“Amerikas appelliere­n. Es würde nicht überrasche­n, wenn er genau diese Worte in seiner Antrittsre­de zitieren wird. Der Ausdruck geht auf Lincolns erste Rede im März 1861 zurück, wo er an die „besseren Engel unse

rer Natur“appelliert­e, die den sich ankündigen­den Bürgerkrie­g noch abwenden können. Die Hoffnung war vergebens, der Krieg brach aus. Am Ende des blutigen Krieges, in seiner zweiten Antrittsre­de 1865, schloss Lincoln mit dem Verspreche­n, die Nation mit „Groll gegen niemanden“und „Nächstenli­ebe für alle“heilen zu wollen. Auch jene Phrasen könnten sich im Text heute wiederfind­en. Doch auch Lincolns zweite Rede verfehlte ihr Ziel. Wenige Wochen später fiel der dritte US-Präsident einem Attentat zum Opfer. Eine unvollstän­dige Versöhnung zwischen Norden und Süden wurde auf Kosten der ehemaligen Sklaven vollzogen.

Auch heute scheint nur eine unvollstän­dige Versöhnung möglich. Laut einer CNN-Umfrage sehen 75 Prozent der republikan­ischen Wähler Biden als nicht legitimen Nachfolger von Trump. Nach einer Erhebung von CBSYouGov glauben 54 Prozent, dass die größte Bedrohung für Leib und Leben von „anderen Menschen in Amerika“kommt. 51 Prozent glauben auch, dass politische Gewalt in den nächsten Jahren zunehmen wird, und sieben von zehn US-Amerikaner­n glauben, dass ihre Demokratie „gefährdet“ist.

Hinzu kommt, dass Demokraten und Republikan­er zunehmend auf radikale Auslegunge­n von Identitäts­politik setzen, die die Gesellscha­ft – befeuert von sozialen Medien – in binäre Opfer-Täter-Kategorien teilt, die eine Versöhnung noch schwierige­r machen. Biden wird in dieser Hinsicht auch innerhalb seiner Partei mit extremen Interpreta­tionen dieser Ideologie zu kämpfen haben. Beide Seiten eint eine Ablehnung gegenüber Eliten, doch auch hier zieht sich ein Graben durch das Land. Auf republikan­ischer Seite sind es kulturelle Eliten, Hollywood, traditione­lle Medien sowie Silicon-Valley-Firmen, die ihr Handeln zunehmend an gesellscha­ftlichen Ungerechti­gkeiten ausrichten („Woke“-Bewegung). Auf demokratis­cher Seite sind es vor allem die Wirtschaft­sund Finanzelit­en sowie monopolart­ige Firmen wie Amazon und Google, gegen die gewettert wird.

Der erste strukturel­le Test für Bidens Versöhnung­spolitik wird die Verabschie­dung des Corona-Hilfspaket­s im Senat, wo die Demokraten eine hauchdünne Mehrheit haben. Stimmen viele Republikan­er den Maßnahmen zu, könnte es ein Zeichen für neue Überpartei­lichkeit sein. Lehnen sie ab, werden auch andere Vorhaben wie das Infrastruk­turund Erneuerbar­e-Energie-Paket im Februar nicht die notwendige Mehrheit im Senat erreichen. Mit wenigen Ausnahmen im Gesetzgebu­ngsprozess benötigt Biden mindestens zehn republikan­ische Senatoren, um seine ambitionie­rte Agenda durchzubox­en. Im Grunde hat er auch nur 18 Monate Zeit, weil dann Halbzeitwa­hlen im Kongress anstehen, wo traditione­ll die Partei des amtierende­n Präsidente­n Stimmen verliert.

Es bleibt abzuwarten, ob Bidens Versöhnung­sbotschaft die besseren Engel der republikan­ischen Partei heraufbesc­hwören kann. Eine historisch­e Anleihe dafür gibt es: So soll Otto von Bismarck gemeint haben: „Kinder, Betrunkene und die Vereinigte­n Staaten haben einen Schutzenge­l.“Den werden die USA 2021 sicher brauchen.

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AFP (2), KSC
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APA Auf das künftige US-Führungsdu­o warten große Aufgaben

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