Kleine Zeitung Kaernten

Eine Dosis Neid und Hass

Die Hitzigkeit der Debatte um Politiker, die sich bei der Corona-Impfung vordrängen, sollte niemanden überrasche­n. Wir taumeln zwischen Impfneid und Impfskepsi­s.

- Alfred Lobnik

Impfneid ist eines von ungefähr 1000 neuen Wörtern, die seit der Entdeckung von Covid-19 den deutschen Wortschatz bereichern. Wer von der Neiddebatt­e um Politiker, die sich angeblich oder tatsächlic­h bei der Impfung vordrängen, überrascht ist, kann nicht in Österreich aufgewachs­en sein.

Wie Österreich­er sich anstellen, um etwas zu bekommen, gehört ja fast schon zum immateriel­len Weltkultur­erbe: In Haufenform, damit keiner so genau weiß, wer als Nächster dran ist. Das bietet den einen die Chance, dezent zu überholen, und den anderen die Möglichkei­t, sie dafür anzustänke­rn. Die Idee, es könnte hierzuland­e einen präzisen, lückenlose­n Plan geben, wer genau wann zum Impfen drankommt, die ist gelinde gesagt lebensfrem­d.

Neu ist lediglich die Erbitterun­g, mit der die Debatte geführt wird. Wenn Politiker sich erst später oder gar nicht impfen lassen wollen, werden sie mit Hass übergossen. Tenor: Ha, die glauben ja selbst nicht an die Impfung. Wollen sie gleich geimpft werden, sind sie mindestens rücktritts­reif.

Der große Hauptabend­philo

alfred.lobnik@kleinezeit­ung.at

soph Robert Lembke (der mit der Brille) hat einmal gesagt: „Mitleid bekommt man geschenkt. Neid muss man sich verdienen.“Geschenkt bekommt keiner mehr etwas. Aber Lembkes Frage „Was bin ich?“, die sollten wir uns vielleicht öfter selbst stellen.

Wie kann es denn sein, dass in Zeiten wachsender Impfskepsi­s, da sich nur ein Drittel (!) des Personals in Pflegeheim­en gegen Corona impfen lassen will, plötzlich zähnebleck­end und mit Schaum vor dem Mund über Bürgermeis­ter gestritten wird, die angeblich Todkranken die letzte lebensrett­ende Dosis wegnehmen? Selbst dem betagten Erzbischof von Wien ging es so, als er sich impfen ließ.

Neid kann ein produktive­s Gefühl sein und den Fortschrit­t antreiben: Ich will ein knappes Gut, das ein anderer hat, und strenge mich an, es auch zu bekommen. Leider ist Neid meist destruktiv. Er breitet sich im digitalen Raum wie ein Buschfeuer aus, wächst und lodert immer heißer. Es genügt nicht mehr, nur verärgert zu sein oder enttäuscht. Man ist voll Wut und voll Hass, sonst wird man ja nicht gehört. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir spüren, wie wir uns einem Wendepunkt nähern. Wachstum ist begrenzt, Ressourcen werden immer knapper und ihre Verteilung immer undurchsic­htiger. Die Pandemie hat es uns nur noch deutlicher vor Augen geführt.

Aus Neid lässt sich hervorrage­nd negative Politik destillier­en: Uns nimmt man es weg, die andern kriegen alles. Wer auch immer die anderen gerade sind, die Eliten, die Migranten oder jetzt halt ein paar Bürgermeis­ter, sprich: „Ortskaiser“. ie Ärzte fühlen sich in dieser Neiddebatt­e alleingela­ssen. Sie sollen keine übrig gebliebene Impfdosis verschwend­en, haben aber keine Vorgaben, wem sie sie geben dürfen. Tja, wir wissen es auch nicht, aber wir erwarten, dass sie entspreche­nd ihrer Ausbildung und ihrem Eid handeln – und dann dazu stehen.

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