„Ich werde konkret sein. Schrill und unangenehm konkret“
PORTRÄT. Anton Kuhs Unglück und Ende oder: Austrian Nightclub Old Grinzing. Zum 80. Todestag des Wiener Journalisten und Autors.
Auf der S.S. Aquitania, die am 13. April in Southampton abgefahren ist, kommt Anton Kuh am 19. April 1938 in New York an. Anders als er den US-Einwanderungsbehörden gegenüber angegeben hat, beherrscht er Englisch weder in Wort noch in Schrift.
Als er am 11. Mai 1938 im Town Hall Club zu Ehren Thomas Manns eine Rede hält, entschuldigt er sich gleich vorweg für sein Englisch. Thomas Mann versteht ihn schlecht, weil er selber schlecht Englisch kann. Es ist ein Kreuz in der Emigration. Governor Cross stellt Kuh als „distinguished author, lecturer and journalist from Vienna“vor, „who had the good fortune to leave Austria by the last train prior to the coming of the Nazi terror“.
Er spricht über die letzten Tage Wiens und Österreichs vor dem Anschluss und das Los jener, die den Nazis in die Hände fielen. Jetzt erfährt auch Thomas Mann Näheres über Egon Friedells Todessturz aus dem Fenster seiner Wohnung. Kuh warnt davor, Meldungen von den Verbrechen der Nazis für übertrieben zu halten, plädiert dafür, eine Weltgesundheitspolizei ins Leben zu rufen, um den Nationalsozialismus im Keim zu ersticken. Das Ganze allerdings so verworren vorgetragen, dass Thomas Mann im Tagebuch vermerkt: „Schlimm.“ Helen Blank, die im Jänner 39 in New York angekommen war und bis Juni als „hat-check girl“(Garderobiere) im „Austrian Nightclub Old Grinzing“arbeitete, einer Art Stadtheurigem in der 79. Straße, hat Anton Kuh in guter Erinnerung. „Er kam oft. Er saß allein an einem kleinen runden Tisch, sprach fast nie mit jemandem, machte einen traurigen Eindruck. (Der stille Zecher). Er trug weiße, unbeschriebene Karten mit sich. Wenn ihm etwas einfiel, schrieb er fleißig auf eine dieser Karten. Eines Abends winkte er mich zu seinem Tisch und reichte mir eine von oben bis unten vollgeschriebene Karte. Es war ein langes Gedicht ‚An Helene‘, also an mich, die Beschreibung seines Eindrucks einer jungen Wiener Frau in höchst erotischem Stil. Ich kann mich an kein Wort erinnern, nur dass es sehr sinnlich auf mich wirkte.“
ZDann starb Kuh. u Anton Kuhs 50. Geburtstag am 12. Juli 1940 stellt sich Rudolf Kommer brieflich gratulierend ein. Ob Kuhs Mäzen aus europäischen Tagen dem Buch ein paar Scheine beigelegt hatte, bleibt ungewiss. Zeitzeuge Gottfried Reinhardt meinte: „Mit Kuh zu rechten hatte keinen Sinn. Er war der bessere Advokat, bestimmt der des Teufels, ging es um Geld … Der doppelte Cognac hatte sich inzwischen verdoppelt. Er wurde zur Flasche … Eine Kaskade freier Rede in perfekter Grammatik voll tiefgründigen Inhalts mit haarsträubend witzigen Formulierungen ergoss sich über einen. Man war durchtränkt, erfrischt und erschöpft.“Kuhs Kriegserklärungen und Liebeserklärungen. Nach Hollywood kommt Kuh nicht, denn „da passe ich nicht hin. Da sind lauter Kopien. Statt mir haben sie dort Billy Wilder …“
Zeitzeuge Anatol Jaro weiß zu berichten, dass Kuh sich bei einem Amerikaner, Gert von Gontard, als Ghostwriter (für dessen Dissertation) verdingt habe. Kuh hatte den festen Willen, eine Arbeit über das Gebiet der Psychoanalyse zu verfassen.
Aber vorher starb Kuh. Dokumentiert ist Kuhs Verheiratung mit Thea Tausig (geb. Goldmann) am 3. August 1939. Die Ehe hielt eineinhalb Jahre, bis der Tod sie schied. Ernster sei er geworden in New York, gesetzter, für die „Landsleut‘“soll er sich die Füße wund gelaufen haben. Als Franz Werfel in Amerika ankam, soll Kuh im Apartment eines Bekannten dem Freund aus Wiener und Prager Tagen und Alma MahlerWerfel einen Empfang gegeben haben. Zu diesem Abend erschienen Carl Zuckmayer, Heinrich Mann, Erwin Piscator, der österreichische Dichter und Mitglied des SchuschniggKabinetts Guido Zernatto und viele andere.
Dann starb Kuh. Franz Werfel hielt einen großartigen Nekrolog auf ihn und starb vier Jahre später. Herzinfarkt. Werfel, der einst sehr Feurige, stand schweigsam versonnen, beglückt, weil ihm dieses kleine Stück Europa im tosenden New York für einige Stunden Geborgenheit und Wärme bedeutete. Dann hob er sein Glas und leerte es. „Zur Ehre und zum Lobe dessen, der uns alle hier vereint, dem blitzenden Geist vom schöneren Wien, Anton Kuh.“Dass die Werfels Kuh jedenfalls im Herbst 1940 in New York getroffen haben, ist verbürgt, ebenso der Umgang mit Irmgard Keun. Guido Zernatto, Autor des Romans „Sinnlose Stadt“, starb zwei Jahre später, noch nicht vierzigjährig, auch in New York, auch an
einem Herzinfarkt, wie alle. Nie wieder heimgekommen.
In seiner Rede „Geschichte und Gedächtnis“auf dem New Yorker Sender WEVD im Rahmen der „Radio-Stunde des German Jewish Club“am 26. November 1938 sagt Kuh: „Ich werde konkret sein, schrill und unangenehm konkret. Tun Sie sich selber weh, behalten Sie Ihr Gedächtnis frisch für die große historische Gerichtsverhandlung, die da kommen wird.“New York City, Kaufmann-Auditorium 20. März 1940, „Die Kunst, Hitler zu überleben“: „Wir sind in vorigen Stadien der Weltgeschichte genug ‚taktvoll‘ und ‚unsichtbar‘ geblieben. Es ist an der Zeit, dass wir endlich taktlos und sichtbar werden – unsere Aufgabe darf nicht sein, uns zu verbergen, sondern danach zu trachten, dass Hitler uns nicht überlebt.“
Dann starb Kuh.
Vehement polemisiert Kuh gegen die im Magazin „Life“veröffentlichten „Rules for Refugees“, die den Emigranten nahelegen, sich tunlichst unauffällig zu verhalten. Er verbittet sich derlei gute Ratschläge vonseiten jener, die für „Befriedigung und Verständigung“plädieren, und sieht sich wie alle „literarischen Flüchtlinge“dezidiert in der Rolle des „undesired expert“– des Sachverständigen, der einen im Nichts-wissen-Wollen stört. „Undiplomatic? Tactless? So much the better. We, the new arrivals, have suffered the consequences of ‚tact‘ and ‚diplomacy‘ on the other side. (…) And since then, tactlessness became our mission in life!“
Ab Juni 1940 glossiert Kuh unter dem Pseudonym Yorick und unter dem programmatischen Kolumnentitel „The Skeptical Reader“über die „widerliche Mischung aus Schularbeitsoptimismus und Konditoreigrazie, Gedankenpunktironie und Parvenügeist.“„Was immer man dem Rang und der Klasse der heutigen Diplomaten nachsagen mag, schauspielerisch geschult sind sie aus dem Effeff. Vor dem Blitzlicht der Weltgeschichte zu sitzen, seine Feder für die Jahrtausende einzutunken, und zu wissen, dass das Ganze keine 24 Stunden lang wahr bleibt, das erfordert eine Anspannung der Gesichtsmuskeln, die kein Hollywood-Extra aushält.“Dann starb Kuh.
Im August 1940 schrieb Kuh sein geliebtes Wien ab. „Hören Sie mir mit Wien auf! Sie wissen, dass es diese Stadt schon lange nicht mehr gegeben hatte, bevor sie für uns aufhörte.“In Wien hatten Kuh sehr viele nicht gemocht: Nicht nur die Nazis nicht, auch Kraus, Friedell, Polgar, die ganze übrige Genie-Konkurrenz geschlossen nicht.
Franz F. Elbogen besuchte Kuh im Jänner 1940 in dessen sehr vornehmer Einzimmerwohnung. Die ehelich angetraute Brünnerin war nicht zu Hause, da sie arbeitete. Kuh lag wieder einmal im Sterben, mit einer schweren Herzattacke, die er sich durch einen Konflikt mit dem Maler Max Oppenheimer zugezogen hatte. Der Arzt hatte ihm strengste Bettruhe, Rauchund Trinkverbot verordnet. Das hinderte ihn nicht, jeden Augenblick einen langen Zug aus der Whiskyflasche zu machen, eine Zigarette an der anderen anzuzünden und im Bett wie eine Heuschrecke auf und ab zu springen.
Er erzählte stets drei Geschichten gleichzeitig, sodass man aus keiner klug wurde, zum Beispiel die Geschichte seiner Eheschließung – eine halbe Stunde vor Abgang seines Schiffes nach Europa, wohin er, selbstverständlich ohne Gattin, die „Hochzeitsreise des Onanisten“unternehmen wollte; wie er dann im letzten Moment vom Schiff wieder absprang, den Krieg vorausahnend, einen Herzkrampf simulierte, um den Fahrpreis zurückzubekommen und abends plötzlich seine Gattin vom Büro abholte.
Dann starb er, Anton Kuh, am 18. Januar 1941, in New York, an einem Herzanfall, 50 Jahre und ein halbes alt. Nie wieder heimgekommen. Kein Fahrpreis, auch keine Rückerstattung. Nicht vergessen! Nicht vergessen.