Grandiose Geisterpremiere
Massenets „Thaïs“gelingt fulminant, leider bekommt die Produktion regulär noch niemand zu sehen.
Mit Jules Massenets „Thaïs“hat das Theater an der Wien einen Trumpf im Talon. Kein Wunder, dass das Haus Wege gesucht hat, die Rarität trotz Corona zeigen zu können. Nun hat man die Aufführung fürs Fernsehen aufzeichnen lassen. Stechen soll der Trumpf später:
Über eine ORF-Übertragung wird verhandelt, live wird man sich wohl bis Frühsommer gedulden müssen.
So war es eine Geisterpremiere, die nun für Kameras und eine Handvoll Journalisten stattfand. Regisseur Peter Konwitschny gelingt eine Ehrenrettung fürs schwülstige Fin-deSiècle-Drama. Er entfernt den orientalischen Pomp aus dem Stück um eine Luxusprostituierte, die von einem Klosterbruder auf den Pfad der Tugend gebracht wird. Die Bühne ist fast leer, das obligatorische Ballett ebenso gestrichen wie ganze Szenen. Alles fokussiert sich auf das ideologische und emotionale Duell zwischen Thaïs und dem Mönch Athanaël. Steht die Frau für ein oberflächliches, dem Luxus huldigendes Upper-ClassElend, vertritt der Mann religiöse Weltabkehr. Der Moralist Konwitschny misstraut beiden Sphären, und zeigt mit einem Kostümkniff, dass die scheinbar konträren Welten miteinander verwandt sind: Alle Figuren tragen Engelsflügel. Für den Regisseur kein positives Bild, sondern Symbol für die geschlossenen Gesellschaften, die sich hier gegenübertreten. Mit dem Verlust der Flügel beginnt eine leidvolle Menschwerdung. Aber Konwitschny, der ewige Optimist wider Willen, lässt auch Momente der Hoffnung auf Erlösung zu.
Dirigent Leo Hussain zaubert mit dem fabelhaften RSO Wien französische Atmosphäre in den Raum. Da wirkt nichts bombastisch, sondern farbig-poetisch, da ist alles kraftvoll, nicht kraftmeierisch. Fantastisch die Antagonisten: Josef Wagner mit opulentem, sinnlichem Bassbariton und Nicole Chevalier mit warmen Farben und glänzenden Höhen.
Im Radio: 20. Februar, 19.30 Uhr, Ö 1