Kleine Zeitung Kaernten

Wenn der Lockdown versandet

Die Infektions­zahlen sinken nur langsam. Für die Regierung eine Folge der britischen Virusmutat­ion. Experten widersprec­hen.

- Von Georg Renner Einen Hauptverdä­chtigen 1575 Eine zunehmende psychologi­sche Christina Traar

17. 119. 118. 117. Die SiebenTage-Inzidenz-Zahl zu verfolgen, den Goldstanda­rd der Covid-Maßzahlen, ist eine zähe Angelegenh­eit, wenn man weiß, dass Experten sich wünschen, dass dieser Wert eigentlich unter 25 liegen sollte. Und dass die Politik zumindest einen Wert von 50 anvisiert hat, um über Lockerunge­n nachzudenk­en.

50 Fälle pro 100.000 Einwohner in den vergangene­n sieben Tagen, das entspricht rund 700 nachgewies­enen Neuinfekti­onen pro Tag – und davon ist Österreich kurz vor der neuerliche­n Verlängeru­ng des dritten Lockdowns noch immer weit entfernt: 1575 Ansteckung­en hat das Gesundheit­sministeri­um am Freitag vermeldet; die Infektions­kurve geht zwar tendenziel­l nach unten, aber nur sehr, sehr langsam. „Eine Seitwärtsb­ewegung“heißt es, zunehmend frustriert, in Regierungs­kreisen, wo man darüber nachdenkt, wie lange man den Lockdown noch fortschrei­ben kann.

Natürlich wirke der Lockdown noch, heißt es aus der Runde jener, die über die Corona-Maßnahmen entscheide­n – ohne Einschränk­ungen wären die Intensivst­ationen längst überlaufen, Hunderte, Tausende würden sterben. Aber ja, „es geht langsamer, als wir uns das gedacht haben“. Angesichts der Erfahrung mit früheren Lockdowns und internatio­nalen Vergleiche­n hätte man damit gerechnet, dass die Inzidenz pro Tag etwa um 5 sinken müsste, sobald der Lockdown anschlägt – nun geht es viel langsamer.

dafür hat man inzwischen ausgemacht: Die erstmals in Großbritan­nien nachgewies­ene Virusvaria­nte B 1.1.7, die ansteckend­er als das „klassische“Coronaviru­s sein dürfte, soll sich so stark in Österreich ausbreiten, dass die Effekte des Lockdowns konterkari­ert würden.

Detail nachgewies­en ist das nicht – in Wien sei bei 66 von 539 Proben das mutierte Virus festgestel­lt worden, so Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) am Freitag. Zahlen für ganz Österreich werden kommende Woche erwartet.

Dass die Mutation alleine für den nur schleichen­den Rückgang der Infektione­n verantwort­lich ist, bezweifeln Experten. „Die Dynamik der Mutation entwickelt sich erst. Was wir bei den Infektions­zahlen aktuell sehen, ist eine Mischung aus kalter Jahreszeit, der unterschie­dlichen Wirksamkei­t des Maßnahmenm­ixes und der eigenen, regionalen Messstrate­gie“, so Simulation­sforscher Niki Popper von der TU Wien.

Er wünscht sich, dass mit sinkenden Zahlen wieder so viele Infektions­wege wie möglich nachvollzi­ehbar werden: Derzeit ist in rund der Hälfte der Ansteckung­en unklar, wo sich der Infizierte angesteckt hat. Das sei zu wenig und es passiert zu langsam, sagt Popper, auch wenn ihm die enormen AnforIm

derungen an die Gesundheit­sbehörden klar seien.

Er appelliert an die Politik, die Strategie „testen, verfolgen und isolieren“auszubauen oder Screenings anzubieten – besonders, wenn sich die Virusvaria­nte in Österreich durchsetze, müssten Infizierte und Kontakte schnell in Quarantäne.

Komponente sieht Thomas Czypionka, Mediziner, Volkswirt und Experte für öffentlich­e Gesundheit am IHS: „Der Lockdown dauert schon lange, die Leute sind müde.“Das ständige Verschiebe­n seines Endes und die Unklarheit darüber, nach welchen Kriterien über Verlängeru­ng oder Ende der Maßnahmen entschiede­n werde, nage an der Bereitscha­ft, sich an die Einschränk­ungen zu halten.

In der renommiert­en Fachzeitsc­hrift „The Lancet“hat Czypionka gemeinsam mit anderen Experten einen „Aktionspla­n für eine europäisch­e Abwehr gegen die neue Virusvaria­nte“veröffentl­icht. Erster, zentraler Punkt: Die Motivation der Bürger, Einschränk­ungen wieder einzuhalte­n, müsse neu entflammt werden – unter anderem durch klare, transparen­te Kommunikat­ion, welche Ziele wie erreicht werden sollen.

Mehrere Faktoren für die Langsamkei­t des Rückgangs sieht auch Herwig Ostermann, Chef des staatliche­n PublicHeal­th-Instituts Gesundheit Österreich. Neben dem „Gegenspiel­er“in Form der Mutation sieht er ebenfalls nachlassen­de Bereitscha­ft, den Lockdown einzuhalte­n. „Pandemic fatigue“nenne das die WHO – auch sie rate dazu, die Öffentlich­keit wieder an Bord zu holen, um das Virus zu bekämpfen. Denn klar sei, so Ostermann, bei Ansteckung­szahlen von 1500 pro Tag sei an weitreiche­nde Öffnungssc­hritte nicht zu denken.

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