Privatzensur in sozialen Netzen?
Der Grazer Verfassungsjurist Christoph Bezemek fordert von Facebook und Co. eine Garantie der Meinungsfreiheit.
In den politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die in den sozialen Netzen erbittert ausgefochten werden, kam es zu zwei bemerkenswerten Vorgängen: Der (jetzt) frühere USPräsident Donald Trump wurde von Twitter gebannt, in Österreich wurde FPÖ-Klubchef Herbert Kickl rausgeworfen. Sie als Verfassungsjurist sehen das höchst problematisch in Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit. CHRISTOPH BEZEMEK: Wir bewegen uns hier in einem Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Privatautonomie. Wir wissen, dass die freie Meinungsäußerung in der Demokratie entscheidend ist, deswegen ist sie grundrechtlich abgesichert, in Österreich mehrfach: im Staatsgrundgesetz, über die Europäische Menschenrechtskonvention und über die Europäische Grundrechtecharta.
Was bedeutet das?
Der Staat und seine Organe dürfen die freie Meinungsäußerung nicht ohne gesetzliche Grundlage und nicht unverhältnismäßig beschränken. Grundrechte sind zunächst staatsgerichtet. Der Staat ist also primär grundrechtverpflichtet, er muss die Meinungsfreiheit achten und schützen und zulassen. Er muss sogar ein erhebliches Maß an Kritik zulassen. Er muss sicherstellen, dass gerade unbequeme, zweifelhafte, gerade nicht allgemein geteilte Meinungen in die Diskussion Eingang finden können.
Was bedeuten nun Player wie Google, Facebook, Twitter, Youtube in diesem Zusammenhang?
Die stärkste Gefährdung geht nicht mehr vom Staat aus, sondern von mächtigen privaten Akteuren. Früher war der Markt stärker staatlich regulierbar und man konnte alle Kanäle im Blick halten.
Worin besteht die Meinungsfreiheit? An sich ja nur im Recht, eine Meinung frei äußern zu dürfen. Aber bei diesen Beispielen geht es eher darum, ob ein Unternehmen etwas verbreiten muss. Das ist der springende Punkt. Das Grundrecht ist staatsgerichtet, es richtet sich nicht an private Unternehmen. Die sind in ihrer Privatautonomie grundrechtlich geschützt. Doch die Kommunikationskanäle haben heute einen Status erreicht, der faktisch dem des öffentlichen Raumes gleichkommt. Wenn ich Donald Trump von Twitter verbanne, wenn ich Content von Herbert Kickl nicht weitergebe, kommt das einer Verbannung von Personen
Zuletzt gab es ja die umgekehrte Entwicklung. Klassische Medien haben darauf gedrängt, dass Facebook und Co. als Publizisten zu verstehen sind – und nicht nur als Infrastruktur – und daher auch medienrechtlich bedenkliche Inhalte sperren müssen. Wir haben hier eine Gratwanderung. Einerseits müssen die Betreiber dafür sorgen, keine Hassreden oder dergleichen zu verbreiten. Anderseits muss sichergestellt sein, dass man am Diskurs teilnehmen kann.
geb. 1981 in Wien, kam nach Aufenthalten u. a. in Yale, Pisa, Addis Abeba 2013 nach Graz. Seit 2019 Dekan der Jus-Fakultät. oder Inhalten aus dem öffentlichen Diskurs schlechthin gleich. Daher müsste der Staat sicherstellen, dass bei bestimmten Unternehmen ein Zugang zu fairen und gleichen Bedingungen gewährleistet wird.
Wie ist das Verhältnis zwischen klassischen Medien, Infrastruktur wie der Post und den sozialen Netzen zu sehen?
Plattformbetreiber funktionieren anders als klassische Medien, sie entsprechen mehr einer Infrastruktur. Es gibt eine enorme Gleichzeitigkeit, der Umfang ist potenziell unendlich. Mit der Post lässt sich Facebook aber auch nicht vergleichen. Denn die Post bestreitet ja ihr Geschäft nicht dadurch, dass sie Briefe veröffentlicht. Daher ist ein Minimum an Kontrolle den Plattformbetreibern zumutbar.
Es gibt Umstände, wo das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird. Wiederbetätigung, Verhetzung etc. Aber die Maßstäbe sind ja keineswegs gleich, wie wir wissen. Was in den USA als obszön gilt, ist es bei uns noch lange nicht.
Ja, das ist besonders schwierig und der Kern des Problems. Wahrscheinlich kann man das international nur sehr weitgestrickt formulieren.
Wer ist also gefordert?
Im Moment weiß das keiner, und das ist ein entscheidendes Problem. Meiner Meinung nach ist der Gesetzgeber gefordert, Schritte zu setzen, die den Zugang definieren. Am besten wäre es, das international zu lösen, aber da gibt es erst sehr lose Ansätze. Ministerin Karoline Edtstadler hat ein gesamteuropäisches Vorgehen gefordert.
Womit müsste man beginnen? Wir benötigen ein Umdenken davon, dass wir den Staat als Gefährder sehen. Hin zu einem Ansatz, wonach die dominanten Akteure längst andere sind.