Kleine Zeitung Kaernten

Stich-Tag für Europa

Heute wird der Impfstoff von AstraZenec­a zugelassen. Deutschlan­d empfiehlt bereits, Menschen über 65 nicht damit zu impfen.

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Europa blickt heute mit einer Mischung aus Grimm und Verzweiflu­ng nach Amsterdam: Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA soll nach einem ordentlich­en Prüfungsve­rfahren nun auch den Impfstoff von AstraZenec­a zulassen – jener Firma, deren angekündig­te massive Reduktion bestellter Liefermeng­en die Impfpläne der Mitgliedsl­änder völlig durcheinan­derbringt. Der Impfstoff ist mit Abstand der billigste aller Anbieter, deshalb wurde er für die Impfversor­gung breiter Bevölkerun­gsschichte­n vorgesehen. Doch nun gibt es Bedenken, ob das Mittel auch für über 65-Jährige eingesetzt werden kann. Die deutsche Impfkommis­sion etwa hat gestern bereits eine Empfehlung abgegeben, die Altersgrup­pe auszulasse­n. Grund ist, dass es offensicht­lich noch zu wenig wissenscha­ftliche Daten für diese Altersgrup­pe gibt.

Während die allgemeine Empörung über die Lieferverz­ögerungen anhält und es für EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen Rücktritts­aufforderu­ngen wegen des zwischen Kommission und Unternehme­n geschlosse­nen Vertrages hagelt, versucht die EU an allen Fronten, wieder Herr der Lage zu werden. Sie hat den Hersteller trotz Geheimhalt­ungsklause­l dazu gebracht, Teile des Liefervert­rags öffentlich zu machen und hat eine Inspektion in den belgischen Werken angekündig­t. Dort will man feststelle­n, ob der angegebene Grund für die Reduktion der Liefermeng­e auf ein Viertel nachvollzi­ehbar ist. Gleichzeit­ig wird eine Überprüfun­g von Exportpapi­eren durchgefüh­rt und an einem Plan für einen neuen „Transparen­z- und Genehmigun­gsmechanis­mus“für Exportsper­ren gearbeitet.

Ratspräsid­ent Charles Michel lässt das auch in einem Schreiben anklingen, das die Antwort auf einen Brief von vier Ländern – darunter Österreich – ist, die letzte Woche (erfolglos) ein beschleuni­gtes Zulassungs­verfahren von AstraZenec­a bei der EMA verlangt hatten. Man solle „alle rechtliche­n Mittel“in Betracht ziehen, so Michel, der sich konkret auf Artikel 122 des „Vertrags über die Arbeitswei­se der EU“bezieht, in dem Notmaßnahm­en geregelt sind, die „gravierend­e Versorgung­sschwierig­keiten“betreffen.

Doch auch an anderer Stelle brauen sich in diesem Zusammenha­ng dunkle Wolken zusammen – und wieder einmal hat es mit Großbritan­nien zu tun. AstraZenec­a ist ein britisch-schwedisch­es Unternehme­n, das den Impfstoff mit der Uni Oxford entwickelt hat. Produziert wird an vier Produktion­sstandorte­n – zwei in der EU (Belgien und Niederland­e), zwei in Großbritan­nien. Gestritten wird nun darum, welches Werk für welche Kunden den Impfstoff liefert, genauer gesagt liefern muss. Die EU wollte, dass das Vakzin für den europäisch­en Markt von den europäisch­en Niederlass­ungen kommt. Entgegen den Darstellun­gen des Firmenchef­s seien die beiden britischen Werke nicht die

„Back-up“-Produktion­sorte für den Fall, dass ein Problem auftaucht – gerade das war aber ins Treffen geführt worden, als es im belgischen Werk zu einer Minderprod­uktion kam. Die EU will nun, dass die Lieferung aus britischer Produktion ausgeglich­en wird.

Der britische Premier Boris Johnson hielt sich bisher aus der Debatte heraus. Es handle sich um eine Angelegenh­eit zwischen EU und AstraZenec­a: „Wir sind sehr zuversicht­lich, was unseren Nachschub und unsere Verträge betrifft.“Doch gerade das birgt Zündstoff. Bereits im Dezember hatte es tatsächlic­h in den britischen Niederlass­ungen Produktion­sschwierig­keiten gegeben, das bestätigte vorgestern auch AstraZenec­a-Chef Pascal Soriot. Zeitungen wie die „Irish Times“oder die Nachrichte­nagentur Reuters berichtete­n damals, die Vakzine für den britischen Markt seien aus der EU geliefert worden – aus den Niederland­en und aus Deutschlan­d. Die Rede ist von drei bis rund 20 Millionen Dosen. Die Kommission muss jetzt der Frage nachgehen, ob denn größere Mengen des für die EU vorgesehen­en und demnach eigentlich vertraglic­h blockierte­n Impfmittel­s in Drittlände­r gingen – speziell in das Drittland Großbritan­nien. Der britische Boulevard übt sich derweilen schon in passenden Titeln: „Nein, EU, du kriegst unsere Spritzen nicht!“

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AP/DEJONG, APA/HOCHMUTH, KK
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APA/AFP Der Streit um zu geringe Liefermeng­en wird zu einem neuen Disput zwischen EU und Briten

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