Viele Fragen bleiben offen
Das Urteil im Mordfall Lübcke ist eindeutig. Der Täter erhält die Höchststrafe. Aber in Deutschland hat die Diskussion über den rechten Umgang mit Extremisten damit erst richtig begonnen.
Es war einer der spektakulärsten Strafprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Neonazi Stephan Ernst muss für den Mord am CDU-Politiker und hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke lebenslang hinter Gitter. Zusätzlich zur Höchststrafe ordnete das Oberlandesgericht Frankfurt anschließende Sicherungsverwahrung wegen der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld an. Das Attentat hatte Deutschland im Juni 2019 erschüttert. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik tötete ein Rechtsextremist einen Politiker.
Der Mitangeklagte Markus H., der Ernst politisch radikalisiert haben soll, wurde vom Vorwurf der Mittäterschaft allerdings freigesprochen. Das Gericht verurteilte ihn lediglich wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung. So wirkt Ernst wie ein Einzeltäter, ein einsamer Wolf.
Wie einer, der sich im Stillen radikalisiert hat und dann seinen gesamten Hass auf eine Einzelperson projiziert hat.
Denn in einem anderen Punkt wurden die Erwartungen der Bundesstaatsanwaltschaft und der Nebenklage nicht erfüllt. Ernst wurde zusätzlich versuchter Mord an einem irakischen Flüchtling vorgeworfen, der im Jänner 2016 bei einem Messerangriff schwer verletzt wurde. Für eine Verurteilung reichten dem Gericht die Indizien allerdings nicht.
Auch wenn die Reaktionen durchwegs positiv ausfielen, begleiteten mahnende Worte die Erleichterung. „Die Nazis werden sich von diesem Urteil nicht beeindrucken lassen, und sie verschwinden auch nicht einfach. Wir müssen weiter gemeinsam gegenhalten, bis auch das letzte rechte Netzwerk in unserem Land ausgetrocknet ist“, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bezeichnete das Urteil als „klares Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus“.
Lübcke hatte sich den Hass von Rechtsextremen zugezogen, als er in einer öffentlichen Veranstaltung die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel unterstützte. Er sei „das Paradebeispiel eines Volksverräters“und hätte aus dem Veranstaltungssaal „hinausgeprügelt werden müssen“, hieß es nach Lübckes Auftritt am 14. Oktober 2015 in der Gemeinde Lohfelden, von dem ein Video im Netz kursierte. Er konterte seine Kritiker mit dem Satz: „Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“
Es gab mehr als 100 Verfahren wegen der anschließenden Hasskommentare gegen Lübcke. Sogar auf Todeslisten in rechtsextremen Netzwerken tauchte sein Name auf. Und selbst nach dem Mord ließen die Kommentare nicht nach. „Eine widerliche Ratte weniger“, stand unter dem YoutubeVideo von Lübckes Originalrede nach dem Attentat.
Der Prozess wurde auch deshalb so aufmerksam verfolgt, weil sich Polizei und Sicherheitsbehörden in Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder mit Vorwürfen rechtsradikaler Unterwanderung und Versäumnissen bei der Aufklärung rechtsextremistischer Terrorgruppen wie der NSU 2.0 auseinandersetzen mussten. So folgte auf den Mord an Lübcke vier Monate später die Attacke des Rechtsextremisten Stephan Balliet auf die Synagoge in Halle. Und im Februar 2020 tötete der Rassist Tobias Rathjen in Hanau neun Menschen aus Migrantenfamilien.
Politik und Behörden haben auf die drei Attentate reagiert. Polizei und Verfassungsschutz wurden verstärkt, der deutsche Innenminister Horst Seehofer verbot 2020 vier militante Vereine aus dem Spektrum von Reichsbürgern und Neonazis. Aber dennoch gelangten immer wieder Schlagzeilen in die Öffentlichkeit, dass Drohungen nicht ernst genommen wurden oder Polizeibeamte in rechtsextreme Netzwerke verwickelt sind, wie im Sommer 2020 in Hessen aufgedeckt wurde.