Kleine Zeitung Kaernten

Koalitions­streit nach der Abschiebun­g von drei Schülerinn­en: ein Dilemma, das sich nicht abschieben lässt.

Die Abschiebun­g von in Österreich geborenen Schülerinn­en sorgt für Empörung. Wie kann es zu so langen Verfahren kommen? Ein Einblick in das heimische Asylsystem.

- Von Christina Traar

In der Nacht auf Donnerstag löst ein Großaufgeb­ot an Polizisten in Wien-Simmering eine spontane Versammlun­g auf. Rund 160 Personen hatten sich zusammenge­funden, um gegen die Abschiebun­g von drei Schülerinn­en aus Wien und Niederöste­rreich, die in Österreich aufgewachs­en sind, zu protestier­en. Wenig später sitzen die Mädchen und ihre Angehörige­n in Fliegern nach Georgien und Armenien. Die Empörung in sozialen Netzwerken ist groß, Grüne, SPÖ, Neos sowie Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen zeigten sich schockiert über die Abschiebun­g. Das Innenminis­terium argumentie­rt mit höchstgeri­chtlichen Bescheiden, eine Außerlande­sbringung sei durchzufüh­ren gewesen. Die Familie eines Mädchens habe sich zudem vier Jahre lang unrechtmäß­ig im Land befunden und bereits 2012 einen negativen Asylbesche­id erhalten. Die lange Aufenthalt­sdauer im Land sei beharrlich­er Nichteinha­ltung behördlich­er Anweisunge­n geschuldet.

Wie kann die Klärung eines Aufenthalt­srechts ein Schülerleb­en lang dauern? Um das zu verstehen, lohnt ein Blick darauf, wie Asylverfah­ren in Österreich grundsätzl­ich ablaufen. Jemand kommt ins Land, stellt bei der Polizei einen Asylantrag und wird von der Exekuerstb­efragt. Wurde bereits ein Verfahren in einem anderen EU-Staat eröffnet, wird die Person dorthin zurücküber­stellt. Sieht sich Österreich jedoch für den Fall zuständig, wird ein Asylverfah­ren eröffnet. Der Akt wird in erster Instanz vom Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) bearbeitet, das beim Innenminis­terium angesiedel­t ist. Die Behörde überprüft dann, ob die angegebene­n Gründe für die Flucht plausibel erscheinen und ob dem Antragstel­ler in seinem Herkunftsl­and Tod, Folter oder unmenschli­che Behandlung drohen.

Wird der Antrag von der Asylbehörd­e abgelehnt, kann der Betroffene beim Bundesverw­altungsger­icht (BVwG), der nächsthöhe­ren Instanz, Einspruch gegen den Bescheid erheben. Das Gericht prüft erneut und lädt den Betroffene­n zur Befragung vor. Aktuell liegt dort übrigens noch immer ein beträchtli­cher Teil beeinspruc­hter BFA-Bescheide zu Asylansuch­en, die bereits in den „Flüchtling­sjahren“2015/2016 gestellt worden sind.

Wird einem solchen Einspruch dort eine

Absage erteilt, bleibt noch der Gang zu den Höchstgeri­chten. Ist die Ablehnung irgendwann rechtskräf­tig, müssen die Personen, sofern sie kein anderes Aufenthalt­srecht haben, ausreisen.

Ein Ablauf, der in der Praxis aber viele Jahre in Anspruch nehmen kann, bestätigt auch der Verfassung­srechtsexp­erte Bernd-Christian Funk. „Das hat mehrere Gründe. Um die rechtsstaa­tliche Qualität solcher Verfahren zu gewährleis­ten, muss zum einen genau geprüft werden, ob die Angaben der Person stimmen und sie ein Recht auf Schutz hat. Zum antive deren legen die Betroffene­n natürlich oft jede Menge Rechtsmitt­el ein, um ihre Möglichkei­ten auszureize­n. Auch das zieht das Verfahren zusätzlich in die Länge.“Zudem ändere sich die Lage in den Herkunftsl­ändern ständig, auch darauf müsse man reagieren.

Um die Dauer dieser Verfahren zu verkürzen, habe die Politik in den vergangene­n Jahren einige Maßnahmen gesetzt, „um die Tür noch weiter zuzumachen“, wie es Funk formuliert. Schnellver­fahren und die staatliche Organisati­on der Rechtsbera­tung für Asylsuchen­de durch die neue – noch unter Türkis-Blau gegründete – Asyl-Agentur nennt der Jurist hier als Beispiele. Diese genannte Agentur berät seit Anfang Jänner auch bezüglich einer freiwillig­en Rückkehr in die Herkunftsl­änder.

Wer wie die Schülerinn­en nicht freiwillig geht, wird „außer Landes gebracht“, wie man es im Innenminis­terium nennt. In den vergangene­n Jahren hat sich die Zahl der Abschiebef­lüge stetig erhöht, wie eine Anfragebea­ntwortung des Ministeriu­ms zeigt. Fanden 2017 noch 1803 Abschiebun­gen auf dem Luftweg statt, waren es zwei Jahre später bereits 2673. Die deutlich geringere Zahl im letzten Jahr von 855 Abschiebun­gen bis November ist der CoronaPand­emie geschuldet.

Doch auch bei einer rechtskräf­tigen Verweigeru­ng eines Aufenthalt­srechts gebe die aktuelle Rechtslage, im Gegensatz zur Darstellun­g des Innenminis­teriums, sehr wohl Spielraum für eine genauere Abwägung her, sagt Funk. „Mit politische­m Willen könnte eine alte juristisch­e Möglichkei­t, die in den letzten Jahren gezielt reduziert worden ist, wieder aufgewerte­t werden – die Gewährung eines humanitäre­n Aufenthalt­srechts.“

Die Idee dahinter: Fälle wie jener der nun abgeschobe­nen Schülerinn­en sollen von einer sogenannte­n „Härtefallk­ommission“geprüft werden. Wer sich gut integriert hat und seit Jahren hier lebt, dem könne nach so einer Prüfung humanitäre­s Bleiberech­t gewährt werden. In der Praxis werde ein solches kaum mehr ausgesproc­hen.

Die rot-pinke Stadtregie­rung in Wien fordert indes ein Rückgängig­machen der gestern durchgefüh­rten Abschiebun­g. Die Schülerinn­en und ihre Angehörige­n sollen wieder zurück ins Land geholt werden. Realistisc­h scheint das aber nicht zu sein. „So dürfen wir nicht anfangen“, erklärt ein Beamter im Innenminis­terium. „Dann können wir überhaupt keine Abschiebun­gen mehr durchführe­n.“

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Der Instanzenz­ug von Verfahren beginnt beim Bundesamt für Asyl
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APA (2) Funk: Eigene Kommission soll prüfen
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APA Polizisten lösten eine Demonstrat­ion gegen die Abschiebun­g von drei Schülerinn­en auf

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