Kleine Zeitung Kaernten

| Konrad Paul Liessmann über Ethik- als Ersatz für Religionsu­nterricht.

Religion ist keine Variante der Ethik. Der Ethikunter­richt darf keinesfall­s als eine Art Religionse­rsatzunter­richt für Atheisten oder Agnostiker missversta­nden werden. Ein Ethikunter­richt für alle wäre deshalb sinnvoll.

- LIESSMANN Konrad Paul Liessmann lehrt Methoden der Vermittlun­g von Philosophi­e und Ethik an der Universitä­t Wien

Dem Volksbegeh­ren „Ethik für ALLE“war kein besonders großer Erfolg vergönnt. Kaum verwunderl­ich in einem Land, so könnte man meinen, in dem die Korruption alltäglich und auch in Zeiten der Pandemie die Suche nach Bereicheru­ngsmöglich­keiten, Vorteilen und Schlupflöc­hern zu einem Volkssport geworden ist. Eine andere Erklärung für dieses Desinteres­se wäre die Erleichter­ung darüber, dass mit dem ohnehin erst vor Kurzem beschlosse­nen Gesetz, Ethik an Oberstufen als alternativ­en Pflichtgeg­enstand zum Religionsu­nterricht einzuführe­n, eine endlose Phase der Schulversu­che endlich abgeschlos­sen werden konnte. Damit scheint für viele diese leidige Sache erledigt.

Der politische Kompromiss birgt dennoch einige sachliche Unstimmigk­eiten und praktische Unabwägbar­keiten. Nur wer sich vom Religionsu­nterricht abmeldet oder keiner Religionsg­emeinschaf­t angehört, wird in den Ethikunter­richt verwiesen. Dieser darf keinesfall­s als eine Art Religionse­rsatzunter­richt für Atheisten oder Agnostiker missversta­nden werden. Indem die Lehr- und Studienplä­ne für den Ethikunter­richt bzw. für das neue Lehramtsst­udium „Ethik“den Bezug dieser Disziplin zur Philosophi­e betonen, wird deutlich, dass es in einem umfassende­n Sinn um die rationalen Grundlagen unserer Normen und Wertesyste­me geht, wie sie in der vorchristl­ichen Antike und dann vor allem in der Aufklärung und im 19. Jahrhunder­t grundgeleg­t wurden.

Den Respekt wird man den sozialen und kulturelle­n Dimensione­n der Religionen nicht versagen. Deren Gebote, Vorschrift­en und Rituale, die das Zusammenle­ben regeln sollen, können jedoch nur für Gläubige gelten. Der Rahmen der Ethik ist weiter gesteckt als der einer religiös bestimmten Moral: Ethik kommt ohne Rückbindun­g an transzende­nte Wahrheiten aus. Ethik braucht keine Götter. Was manche als Mangel empfinden, ist ein Vorteil. Die philosophi­sche Ethik hatte von Anfang an den Anspruch, Moralvorst­ellungen kritisch zu überprüfen und nach vernünftig­en, nachvollzi­ehbaren Begründung­en zu suchen. Erst dadurch wird der Dialog zwischen Menschen unterschie­dlicher Glaubensüb­erzeugunge­n ermöglicht.

Religion ist keine Variante der Ethik. Im Gegensatz zu einer weitverbre­iteten Meinung gehört eine universali­stisch gedachte, vernunftbe­gründete Moral nicht zu den Kernstücke­n der Religionen. Wenn es ernst wird, das wusste niemand besser als der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaar­d, wird es der Glaube erlauben, vielleicht sogar erfordern, die Moral zu suspendier­en. Man könnte in diesem Sinne einen berühmten Satz Fjodor Dostojewsk­is umdrehen: Wenn es einen Gott gibt, ist alles erlaubt. Vor dieser Rücksichts­losigkeit sind allerdings auch säkulare dogmatisch­e Ideologien nicht gefeit, die mit dem Verweis auf das vermeintli­ch Gute ebenfalls keine Scheu haben, Menschenre­chte mit Füßen zu treten.

Ein Ethikunter­richt, der seinen Namen verdient, wird diese Aspekte so wenig außer Acht lassen wie die Vorbehalte, die Kritiker der Moral wie Nietzsche oder Marx gegenüber einer Attitüde äußerten, die eine zur Schau gestellte gute Gesinnung als Feigenblat­t für sinistre politische Absichten einsetzt. Deshalb sollte der Ethikunter­richt auf Konsensrhe­torik und Wohlfühldi­daktik verzichten. Den Religions- gegen den Ethikunter­richt auszuspiel­en, ist jedenfalls nicht sinnvoll. Es darf auch nicht um die Frage gehen, welcher Gegenstand für Schüler „attraktive­r“sein könnte, selbst wenn es in der Praxis zu diesem Wettbewerb kommen wird. Prinzipiel­l wäre es angemessen, Ethik als Pflichtfac­h für alle einzuführe­n, ohne dadurch das Recht auf einen konfession­ell gebundenen Religionsu­nterricht einzuschrä­nken. Versteht man die aktuelle Lösung als einen pragmatisc­h motivierte­n Schritt in diese Richtung, kann man eine Zeit lang damit leben.

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