Kleine Zeitung Kaernten

Die große Verführung

Martin Mosebach legt mit „Krass“einen großen Roman vor, dessen Zauber letzten Endes ein Geheimnis bleibt.

- Von Bernd Melichar

Man muss sich die Bücher von Martin Mosebach wie einen feinen Anzug vorstellen. Edel und sorgsam per Hand verarbeite­t, die Qualität sieht man auf den ersten Blick, dennoch wirkt sie nicht aufdringli­ch. Selbstbewu­sst, ja, das schon, aber nicht selbstgere­cht geht der Träger dieses Anzugs durch die Welt und ihre aufgewühlt­en Wellentäle­r.

„Krass“heißt der neue Roman von Mosebach, benannt nach der Hauptfigur Ralph Krass; einer Figur, der man als Leser abwechseln­d fasziniert und angewidert begegnet. Krass, ein feister, deutscher Geschäftsm­ann, hält sich gern Menschen, erkauft sich fallweise ihre Gunst, auf die er in Wahrheit gar keinen Wert legt. Lidewine, eine junge Belgierin, Assistenti­n eines Zauberers, wird auch bezahlt: für ihre Präsenz – kein Sex, so die Abmachung. „Verfügende Sorge“heißt das in der Mosebach’schen Sprachwelt. Im letzten Teil des Romans, viele Jahre später, trifft der Menschenkä­ufer Krass – inzwischen seiner eigenen Kaufkraft verlustig gegangen – wieder auf Lidewine. Protokolli­ert wird das Ganze von Dr. Jüngel, dem früheren Assistente­n und Faktotum, dem devoten Schreibkne­cht.

„Krass“ist ein ganz großer Wurf, auf vielen Ebenen. Die Sprachkuns­t von Martin Mosebach hat eine elegante Opulenz erreicht, die trotz des vielen Dekors nicht im Wortplüsch versinkt. Man darf diese Sprache und ihren Autor gern konservati­v oder gar antiquiert nennen, gleichsam wie aus der Zeit gefallen, doch dieser behutsame und nie formelhaft­e Umgang mit Worten und Stimmungen, dieses feinfühlig­e Ausloten von gesellscha­ftlichen und individuel­len Schwingung­en, all das macht Mosebach zu einem originären Menschen- und Weltenbeob­achter.

Man darf dieser Geschichte auch eine Mephisto-Dimension zusprechen, man kann sie als Parabel über den Magnetismu­s zwischen Ungleichen lesen – oder als gefinkelte Psychostud­ie über Genie, Wahn, Sinn und Allmachtsf­antasien. Aber wie auch immer man diesen Roman

aufnimmt, es ergeht einem wie in der Zirkusszen­e am Beginn des Buches: Der Zauberer vollführt sein Kunststück vor den Augen der Zuschauer, lässt sie sogar daran teilhaben, doch am Ende weiß niemand, wie das Kunststück funktionie­rt hat.

„Krass“ist ein Glücksfall von einem Roman, eine Verführung und Verstörung, ein atemloses Staunen und Stöhnen, ein schwelgen in und schmiegen an Sprache. Was für ein Zauber!

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IMAGO Martin Mosebach: Spracharti­st ohne Trickserei­en
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Krass. Rowohlt, 528 Seiten, 25,70 Euro.
Martin Mosebach. Krass. Rowohlt, 528 Seiten, 25,70 Euro.

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