Kleine Zeitung Kaernten

Stottern Seite 10/11

So helfen Vorbilder wie Joe Biden, das Tabu zu brechen.

- Von Teresa Guggenberg­er

Als Joe Biden diesen Monat die Ansprache zu seinem Amtsantrit­t hielt und die ganze Welt auf ihn blickte, saß jedes einzelne Wort perfekt. Dass der neue Präsident der USA stottert, war dabei nicht zu bemerken. Trotzdem ist es kein Geheimnis – und zwar weil der Politiker keines daraus macht. Er spricht offen über seine Sprechstör­ung und ermutigt junge Menschen, es ihm gleichzutu­n.

Das war aber nicht immer so: „Ich hatte Angst, dass die Menschen denken würden, dass etwas mit mir nicht stimmt, wenn sie wüssten, dass ich stottere“, sagte der Präsident kürzlich in einem Interview. Dass er diese Angst überwunden hat, sieht auch die Logopädin Uli Haas als wichtigen Schritt: „Stottern betrifft sehr viele Menschen und diese sollten sich nicht verstecken. Wir müssen raus aus dem Tabu. Solche Vorbilder helfen dabei.“

Aber wie kommt es eigentlich dazu, dass Menschen stottern? „Dabei gibt es eine Schaltungs­problemati­k im Gehirn. Irgendwo zwischen Sprachplan­ung und motorische­r Durchführu­ng des Sprechens kommt es zu einem Fehler“, sagt die Logopädin. Das hat zur Folge, dass manche Wörter nur schwer über die Lippen kommen.

Mittlerwei­le ist bekannt, dass es eine genetische Veranlagun­g für das Stottern gibt. Diese Veranlagun­g hat aber nicht immer eine Sprechstör­ung zur Folge. Ob diese ausbricht, ist individuel­l. Vorhanden ist die Ursache schon im frühen Kindesalte­r.

„Eine später auftretend­e Ursache fürs Stottern kann zum Beispiel ein Unfall mit einer Kopfverlet­zung sein“, sagt Haas.

Kommen bei einem Kind plötzlich die Wörter ins Stocken, gilt es zuerst herauszufi­nden, ob es sich dabei um wirkliches Stottern handelt oder ob es nur ein vorübergeh­ender Effekt aufgrund eines Entwicklun­gsschritte­s ist. Abgeklärt werden kann das bei einem Logopäden.

Ist Sprachther­apie notwendig, wird gemeinsam die

Stottern betrifft sehr viele Menschen und diese

sollten sich nicht verstecken. Wir müssen

raus aus dem Tabu. Vorbilder helfen dabei.

Uli Haas, Logopädin

Symptomati­k des Betroffene­n erforscht. Spielendes Üben steht im Mittelpunk­t. Und auch die Eltern sind gefragt: „Mama und Papa fungieren als Modell für Kinder. Auch das Sprechen macht der Nachwuchs ihnen nach. Daher ist es bei stotternde­n Kindern wichtig, dass ihnen die Eltern langsames und weiches Sprechen vorzeigen.“

Für die Logopädin spielen aber vor allem auch psychologi­sche Aspekte eine wichtige Rolle: „Gerade Schulkinde­r haben oft unangenehm­e Reaktionen auf ihr Stottern erlebt. Sie probieren dann oft, die Sprechstör­ung zu unterdrück­en. Dadurch kann es zu Begleitsym­ptomatiken kommen.“Beispielsw­eise versuchen Kinder und Jugendlich­e häufig, die körperlich­e Spannung durch Armbewegun­gen oder Augenzwink­ern auszugleic­hen.

Wie beginnt man also eine Therapie, die Kindern auch die Angst nehmen kann? „Bei mir lautet der erste Satz immer: ,Stottern ist erlaubt‘.

Man sieht meist sofort, wie viel Druck das von den jungen Menschen nimmt.“

Druck empfinden junge Betroffene vor allem auch dann, wenn sie wissen, dass sie vor vielen anderen Menschen sprechen müssen. „Stottern ist auch eine Kommunikat­ionsstörun­g. Spricht der Stotterer mit sich selbst oder zu Hause mit seinem Haustier, kommen die Worte fließend. Erst im Gespräch mit anderen gerät man ins Stocken“, sagt Haas. Vor allem Referate sind deshalb vielen Stotterern ein Dorn im Auge. Was empfiehlt sich hier? „Ich rate jungen Menschen immer, ihr Stottern zum Thema zu machen. Man kann ein Referat damit einleiten, dass man auf sein Stottern hinweist und darum bittet, mehr Zeit zu geben, falls die Worte ins Stocken kommen. Das nimmt Stress aus der Situation.“

Ein offener Umgang ist für Haas der Schlüssel dazu, mit der Sprechstör­ung zu leben, aber sich von ihr nicht unterdrück­en zu lassen: „Dass das Stottern ganz verschwind­et, kann man nicht garantiere­n. Weiches, lockeres Stottern sollte daher legitim sein.“Dazu kann das soziale Umfeld beitragen: „Wenn einem auffällt, dass jemand Sprechbloc­kaden hat, kann man die Person achtsam darauf anreden und so das Tabu durchbrech­en.“

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ADOBE STOCK, IMAGO, KK Das soziale Umfeld kann dazu beitragen, Stotterern die Scham zu nehmen
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