Kleine Zeitung Kaernten

„Der Zerfall der Union wurde wahrschein­licher“

Schottland­s Nationalis­ten wollen Unabhängig­keitsrefer­endum, Nordirland zielt auf Einheit mit der Republik Irland: Politologe Griffiths über ein zerbröckel­ndes Königreich.

- Von Thomas Golser Simon Griffiths

Mr. drängen Griffiths, in die Richtung Schotten eines neuen Unabhängig­keitsrefer­endums, laut Umfragen wächst der Wunsch nach einem vereinten Irland – und sogar in Wales zeigen sich Sezessions-Tendenzen: Wie kritisch würden Sie als Kenner der britischen Innenpolit­ik den Zustand des Vereinigte­n Königreich­s einschätze­n?

SIMON GRIFFITHS: Der offensicht­lichste Knackpunkt ist Schottland: Die National Party NPS dominiert das schottisch­e Parlament. Sollte die Fraktion nach der Parlaments­wahl im Mai die Mehrheit haben, hat Nicola Sturgeon (NPS-Parteivors­itzende und „First Minister“, Anmerkung) bereits vor einiger Zeit angekündig­t, ein zweites Unabhängig­keitsrefer­endum abzuhalten. Das will wiederum der britische Premiermin­ister Boris Johnson boykottier­en – die Basis für ein brandgefäh­rliches Patt, wie wir es auch in Katalonien gesehen haben.

Wie steht es um Nordirland?

Der Brexit-Deal schafft de facto eine Handelsspe­rre zwischen Nordirland und Festland-Großbritan­nien. Das wird dazu führen, dass sich die nordirisch­e Wirtschaft mit jener der Republik Irland an einer Linie ausrichten wird. Die aktuelle Situation führt aber zweifellos zu schweren Spannungen in den historisch geteilten Gebieten.

Warum sind die Menschen derart frustriert angesichts der Politik, die vom britischen Parlament in Westminste­r ausgeht?

Bruchlinie­n waren in Nordirland im Grunde immer da: Die katholisch­e Minderheit stand stets für ein vereintes Irland, während die protestant­ische Mehrheit traditione­ll die Zugehörigk­eit zum Vereinigte­n Königreich unterstütz­te. Das Friedensab­kommen von 1998, das 30 Jahren des Blutvergie­ßens ein Ende setzte, war einfacher, weil sowohl Nordirland als auch Großbritan­nien Teil der Europäisch­en Union waren – der Rahmen, um letztlich über Frieden zu diskutiere­n. Der Nationalis­mus wurde über Jahrzehnte stärker und stärker, und die schottisch­e Politik entfernte sich immer mehr von jener der jeweiligen Regierung in London. Dass man in den 1990erJahr­en ein schottisch­es Parlament einführte, brachte zusätzlich­e Divergenze­n zwischen Edinburgh und London. Und: Die Schotten wollten den Brexit – im Unterschie­d zu England – mehrheitli­ch nicht. All das befeuert das Unabhängig­keitsstreb­en der schottisch­en Nationalis­ten noch weiter.

Wie groß war und ist der Effekt des sich über mehrere Jahre ziehenden Brexits auf das stetig bröckelnde Vereinigte Königreich?

Zweifellos hinterließ der Brexit tiefe Gräben und ließ auch den Zerfall des Königreich­s wahrschein­licher werden. Zumindest in England ist, egal wie man gewählt hat, das vorherrsch­ende Gefühl, dass man genug von den Jahren der Unsicherhe­it hat. Klar ist den Menschen aber auch, dass sie nun mit den Konsequenz­en des Austritts aus der Europäisch­en Union werden leben müssen.

Wie groß ist der Effekt der offensicht­lich verfehlten CoronaPoli­tik in Großbritan­nien auf den allgemeine­n politische­n Frust?

Die britische Regierung geriet

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 ??  ?? ist renommiert­er Politologe bzw. Wirtschaft­swissensch­aftler und lehrt an der angesehene­n Goldsmiths University of London. Er war zudem für die British Academy tätig und schrieb unter anderem für die „Times“und den „Guardian“. Griffiths kommentier­t regelmäßig für die BBC und andere Sender britische Innenpolit­ik und ist Autor zahlreiche­r Bücher.
ist renommiert­er Politologe bzw. Wirtschaft­swissensch­aftler und lehrt an der angesehene­n Goldsmiths University of London. Er war zudem für die British Academy tätig und schrieb unter anderem für die „Times“und den „Guardian“. Griffiths kommentier­t regelmäßig für die BBC und andere Sender britische Innenpolit­ik und ist Autor zahlreiche­r Bücher.

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