Die Könige, die England schufen
Dan Jones erzählt die atemberaubende Geschichte des Hauses Plantagenet.
Wer die alte, eine knappe Autostunde westlich von Tours gelegene Abtei Fontevraud besucht, kann das Grabmal eines Mannes besichtigen, dessen Gebeine man eher in Westminster vermuten würde, nicht aber im Herzen des Loiretals. Im Schiff der romanischen Kirche ist dort neben seinen Eltern, Eleonore von Aquitanien und König Heinrich II., Englands sagenumwobener König Richard Löwenherz bestattet.
Die Königsgräber rufen in Erinnerung, dass es einmal eine Zeit gab, zu der sich weite Teile Frankreichs, allen voran der Westen, im Besitz der englischen Könige befanden. Sich diesen Umstand nach dem turbulenten Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU vor Augen zu halten, kann gewiss nicht schaden.
Die britische Geschichte ist keineswegs der ununterbrochene Lobgesang auf die Splendid isolation, als den sie die Brexiteers ihren Landsleuten erfolgreich verkauft haben. Über Jahrhunderte war England ohne das europäische Festland nicht denkbar. Dem Aufstieg und Fall des Hauses Plantagenet, mit dem diese Epoche untrennbar verknüpft ist, hat der Historiker Dan Jones vor acht Jahren ein Buch gewidmet, das jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist.
„Spiel der Könige“heißt der Titel, in dem die Kultserie „Game of Thrones“anklingt. Für puristische Liebhaber der mittelalterlichen Geschichte mag das etwas reißerisch klingen. Doch die blutigen Familienfehden, in die sich Englands große Dynastie während ihrer 260-jährigen Herrschaft verstrickte, ließen schon die Zeitgenossen schaudern. Mit viel Sinn für Dramatik zeichnet Jones den spektakulären Weg der im Anjou beheimateten Familie nach, die ihren Namen vom Ginsterzweig herleitete, den sich ihr erster bedeutsamer Spross, der 1113 geborene Graf Gottfried, gern zur Zier auf den Helm steckte. Sein Sohn bestieg 1154 als Heinrich II. den englischen Thron, und mit seiner Regentschaft begann die atemberaubende Verwandlung eines Reiches, das sich vom Außenposten am Rande Europas zu einer der modernsten und mächtigsten Monarchien des Abendlandes entwickeln sollte.