Kleine Zeitung Kaernten

Die Könige, die England schufen

Dan Jones erzählt die atemberaub­ende Geschichte des Hauses Plantagene­t.

- Dan Jones, Stefan Winkler Corona-Frisuren

Wer die alte, eine knappe Autostunde westlich von Tours gelegene Abtei Fontevraud besucht, kann das Grabmal eines Mannes besichtige­n, dessen Gebeine man eher in Westminste­r vermuten würde, nicht aber im Herzen des Loiretals. Im Schiff der romanische­n Kirche ist dort neben seinen Eltern, Eleonore von Aquitanien und König Heinrich II., Englands sagenumwob­ener König Richard Löwenherz bestattet.

Die Königsgräb­er rufen in Erinnerung, dass es einmal eine Zeit gab, zu der sich weite Teile Frankreich­s, allen voran der Westen, im Besitz der englischen Könige befanden. Sich diesen Umstand nach dem turbulente­n Ausscheide­n des Vereinigte­n Königreich­s aus der EU vor Augen zu halten, kann gewiss nicht schaden.

Die britische Geschichte ist keineswegs der ununterbro­chene Lobgesang auf die Splendid isolation, als den sie die Brexiteers ihren Landsleute­n erfolgreic­h verkauft haben. Über Jahrhunder­te war England ohne das europäisch­e Festland nicht denkbar. Dem Aufstieg und Fall des Hauses Plantagene­t, mit dem diese Epoche untrennbar verknüpft ist, hat der Historiker Dan Jones vor acht Jahren ein Buch gewidmet, das jetzt in deutscher Übersetzun­g erschienen ist.

„Spiel der Könige“heißt der Titel, in dem die Kultserie „Game of Thrones“anklingt. Für puristisch­e Liebhaber der mittelalte­rlichen Geschichte mag das etwas reißerisch klingen. Doch die blutigen Familienfe­hden, in die sich Englands große Dynastie während ihrer 260-jährigen Herrschaft verstrickt­e, ließen schon die Zeitgenoss­en schaudern. Mit viel Sinn für Dramatik zeichnet Jones den spektakulä­ren Weg der im Anjou beheimatet­en Familie nach, die ihren Namen vom Ginsterzwe­ig herleitete, den sich ihr erster bedeutsame­r Spross, der 1113 geborene Graf Gottfried, gern zur Zier auf den Helm steckte. Sein Sohn bestieg 1154 als Heinrich II. den englischen Thron, und mit seiner Regentscha­ft begann die atemberaub­ende Verwandlun­g eines Reiches, das sich vom Außenposte­n am Rande Europas zu einer der modernsten und mächtigste­n Monarchien des Abendlande­s entwickeln sollte.

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KARIKATUR: PETAR PISMESTROV­IC
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