Musikalische Medizin gibt es nicht nur zu Mitternacht
Die Welt ist derzeit nicht nett, aber Gott sei Dank gibt es zahlreiche Alben, die Trost spenden.
Keine Angst: So schlimm, wie das klingt, ist es natürlich nicht geworden. Dave Grohl & Co. haben kein „Tanz-Album“aufgenommen, kein „Let’s Dance“anno 2021, kein fluffiges Wegtanzen der Krise auf dem Rücken der Ohrwascheln. Dennoch ist „Medicine at Midnight“ein durchaus therapeutisches Album geworden, eine leichtfüßige Pop-Platte, die dennoch gehörig Druck macht, wo es notwendig ist. Gleich der Opener entzündet das Feuer, kommt mit einem flotten „Na-na-na“im Refrain daher, es folgt das hymnische „Shame Shame“, für das sich niemand schämen muss. Im Grunde sind wieder alle „Foo Fighters“-Qualitäten in diesen neun Songs vereint. Gediegenes Songwritertum, knurriger Rock, ein Schuss Funk und zum Drüberstreuen eine Prise Soul. Das ist ein süffiger Sound-Cocktail, den man zwar am besten in einer muffigen Bar konsumiert, zur Not kann man diese MusikMedizin aber auch zu Hause einnehmen. Und im finalen „Love Dies Young“zünden die Foo Fighters noch einmal ein wahres Riff-Feuerwerk, das tatsächlich an Kiss und Konsorten erinnert. Fazit: Bis die Arenen wieder offen haben, ist dieses Album ein feines Trostpflaster. Macht Spaß. Mächtig!
Wer auf gerechten Zorn und Dauergrant abonniert ist, für den hat das letzte Jahr einiges an Nahrung abgeworfen. In diesem Sinn war es eine gute Zeit für Jason Williamson und Andrew Fears alias Sleaford Mods, die auf ihrem neuen Album „Spare Ribs“frustig ventilieren, was sich da alles angestaut hat an Unpässlichkeiten. Und da ist einiges zusammengekommen: Pandemie, Lockdown, Brexit, Trump, Verschwörungstheorien. Williamsons polternder Sprechgesang und die treibenden Beats von Fearns, das sind kluge Abrechnungen mit einem System, das an der Kippe steht. Eine Lösung hat dieses wunderbar biestige Duo auch nicht zur Hand, aber schnelle Antworten sind ohnehin suspekt. n einem völlig anderen, schwindelerregend fantastischen Sound-Kosmos sind The Notwist aus Deutschland unterwegs. Die Songs auf ihrem neuen Album „Vertigo Days“strahlen eine betörende Schönheit und gleichzeitig knarzige Abgehobenheit aus. Auch der musikalische Sauerstoffaustausch mit argentinischen und japanischen Musiker*innen hat gut funktioniert, damit lassen sich Herz und Hirn gut durchlüften.
IEigentlich ist Weezer eine knackige E-GitarrenBand, doch auf dem neuen Album „OK Human“üben sich die Herren im gediegenen Kammer-Pop. Das ist überraschend gelungen, zwischendurch etwas pickig, doch die samtigen Songs – „slow and sad“– schlingeln sich tief in die Gehörgänge. Die Spielerei mit dem Albumtitel wollen wir gnädig verzeihen. Vom Radiohead-Geniestreich „OK Computer“sind Weezer natürlich meilenweit entfernt – aber wer ist das nicht? ie große PJ Harvey legt gerade Demo-Versionen ihrer früheren Alben vor, jetzt ist das 1998erWerk „Is This Desire?“an der Reihe. Was für ein kluger, bereichernder Schachzug! In den Rohversionen kommen die Songs der Schmerzensfrau noch unmittelbarer und intensiver über die Rampe. Die verstörende Wut, die kreischende Verzweiflung, die flackernden Hoffnungsschimmer ergeben ein Vollbad der Gefühle, in dem auch Katharsis steckt. „Dear God, Life Ain’t Kind“, singt Harvey, womit wir wieder am Anfang angelangt wären. Das Leben ist derzeit nicht nett, aber Gott sei Dank gibt es Musik-Medizin.
D31. JÄNNER 2021