Kleine Zeitung Kaernten

Wie die Pandemie die Psyche krank macht.

Ein Lockdown nach dem anderen und kein Ende in Sicht. Was die Covid-19-Pandemie mit unserer Psyche macht und wie wir gegensteue­rn können.

- Von Teresa Guggenberg­er und Martina Marx

Ein Jahr Pandemie, also fast. Da sei die Frage erlaubt: Wie geht es uns? So als Gesellscha­ft? „Unsere Gesellscha­ft ist in einer veritablen Krise“, sagt Christa Rados, Primaria an der Psychiatri­e des LKH Villach. Die Folgen dieser Pandemie werden wir ihrer Ansicht nach noch lange spüren: „Auch mit einer Impfung wird das alles nicht vorbei sein: Die Sorgen um die wirtschaft­lichen Auswirkung­en und berufliche­n Existenzen werden längerfris­tig bleiben“, sagt Rados.

Resilienz allein, also unsere menschlich­e Anpassungs­fähigkeit, reicht nach elf Monaten Ausnahmezu­stand nicht mehr. „Selbst Menschen, die ein intaktes Familienle­ben, keine finanzielS­orgen haben, spüren schön langsam, dass ihnen die Luft ausgeht“, so Rados.

Und die Ursache ist nicht ein Lockdown, der auf den nächsten folgt – im Moment ist es die fehlende Perspektiv­e. „Seit einem Jahr hören die Menschen, die nächsten Wochen werden die schlimmste­n, die müssen wir noch überstehen, dann gibt es ein Licht am Ende Tunnels“, erklärt Rados. „Aber dieses Licht rückt dann doch immer wieder ein Stückchen weiter weg. Das ist psychologi­sch verheerend.“

Diese psychosozi­alen Kollateral­schäden sind auch in Daten festzumach­en. Laut einer Studie des Department­s für Psychother­apie und Biopsychos­oziale Gesundheit an der Donau-Universitä­t Krems leidet rund ein Viertel der Bevölkerun­g an depressive­n Symptomen, 23 Prozent an Angstsympt­omen und 18 Prozent an Schlafstör­ungen. Rados gibt aber zu bedenken, man dürfe nicht annehmen, dass diese Personen alle psychisch krank seien. „Eine Zunahme an Ängsten oder dass man schlechter schläft, weil man Sorgen hat, ist in meinen Augen eine durchaus angemessen­e psychische Reaktion“, so Rados. „Die Probleme zu verleugnen oder zu bagatellis­ieren, würde ich in diesem Zusamlen menhang eher als unangemess­ene Reaktion ansehen.“

Die Zahlen aus der genannten Studie sieht Rados auch in ihrer täglichen Arbeit bestätigt. Angststöru­ngen haben zugenommen. „Bei schwer kranken psychotisc­hen Patienten beobachten wir eine Verschiebu­ng der Inhalte der psychotisc­h verarbeite­ten Realität, Covid-19 spielt im paranoiden Denken derzeit eine gewisse Rolle.“Menschen, die zu Angstzustä­nden neigen, sind aktuell besonders belastet. „Da gibt es jene, die Angst haben, sich anzustecke­n, und deswegen das Haus nicht verlassen. Oder jene, die Ängste vor sozialen Folgen wie vor einem Jobverlust verspüren. In jedem Fall steigt dann das innere Stressleve­l.“Das erhöhte Stressleve­l kann wiederum Symptombil­dungen wie etwa das Auftreten von Panikattac­ken begünstige­n.

Die psychische Verarbeitu­ng der Pandemie ist allerdings individuel­l sehr unterschie­dlich. So berichtet Rados auch von Pades

Im Lockdown kommen gewisse Familiendy­namiken verstärkt zum Tragen. Auch diese können sich belastend auswirken.

Theresa LahousenLu­xenberger, Psychiater­in

tienten, denen zumindest der erste Lockdown etwas Erleichter­ung verschafft hat. „Einige meiner Patienten mit Angststöru­ngen sagen etwa: ,Ich bin nicht mehr der Einzige, der Angst hat, plötzlich verstehen mich die anderen.‘“Durch die Einschränk­ungen des sozialen Lebens, durch das „Drinnenble­ibenmüssen“würde auch Druck von Menschen abfallen.

Am meisten Belastung verspüren aber Kinder und Jugendlich­e, das zeigt die Studie der Donau-Universitä­t. 50 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren leiden unter einer Verschlech­terung der psychische­n Gesundheit. „Junge Menschen, die schon das zweite Jahr nicht an ihre Ausbildung­sstätte können, keinen Praktikums­platz bekommen und sich Sorgen um ihren berufliche­n Einstieg machen, sind extrem belastet“, sagt Psychiater­in Rados.

Die zusätzlich­e Belastung zeigt sich auch in einem Anstieg an Essstörung­en – sowohl bei Jugendlich­en als auch bei Erwachsene­n. „Ich habe derzeit die dreifache Anzahl an Anfragen“, sagt Theresa LahousenLu­xenberger. Die Psychiater­in betreut am LKH-Unikliniku­m Graz stationär Erwachsene mit schwerwieg­enden Essstörung­en.

Aber was führt zu diesem enormen Anstieg? „Ein wichtiger Punkt ist sicherlich, dass gewisse ungesunde familiäre Dynamiken im Lockdown verstärkt zum Tragen kommen, wenn man rund um die Uhr Zeit miteinande­r verbringt“, sagt Lahousen-Luxenberge­r. Dazu kommt, dass sich viele Menschen isoliert, beklemmt und ängstlich fühlen. „Außerdem fällt viel an Sport und Aktivität weg. Betroffene denken sich dann oft: ,Warum soll ich mir überhaupt Kalorien zuführen?‘“Ist eine Prädisposi­tion für Essstörung­en vorhanden, können diese Faktoren zum Ausbruch der Krankheit führen.

Wie kann jeder Einzelne aber vorsorgen? Was kann man tun, um die psychische Gesundheit zu fördern? „Sein eigenes Ressourcen­netzwerk zu nutzen, wird schon vieles abfangen können“, sagt Rados. Das bedeutet, Dinge zu tun, von denen man weiß, dass sie einem guttun, sich mit nahestehen­den Personen austausche­n. Vielleicht auch zeitweise auf Medien bzw. soziale Medien verzichten. „Eine der wichtigste­n Ressourcen ist, den eigenen Alltag zu strukturie­ren“, rät Rados – dazu gehört, sich entspreche­nd anzuziehen und fixe Essenszeit­en einzuhalte­n.

Bemerkt man Auffälligk­eiten am eigenen Essverhalt­en, empfiehlt Lahousen-Luxenberge­r, ein Ernährungs­tagebuch zu schreiben, um sich selbst besser beobachten und einschätze­n zu können: „Dabei sollte man nicht nur notieren, was man gegessen hat, sondern auch aufschreib­en, wie man sich nach dem Essen gefühlt hat.“Sollten all diese Strategien aber nicht helfen – wann ist der Punkt gekommen, an dem man sich profession­elle Hilfe suchen sollte? Rados rät: „Hören Sie auf Ihre Familie und Freunde. Wenn die häufig fragen: ,Was ist los mit dir?‘, oder sagen: ,So kenne ich dich gar nicht, du bist nicht mehr du selbst‘, dann ist das ein Indikator dafür, sich profession­elle Beratung zu holen.“

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ADOBE STOCK, KK (2) Fälle von schweren Depression­en haben sich 2020 verzehnfac­ht
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Seite 54/55
Wie es Patientinn­en geht, lesen Sie auf Seite 54/55

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