Kleine Zeitung Kaernten

Liebesgrüß­e aus Moskau

Das russische Impfmittel Sputnik V wird für Wladimir Putin zum Exportschl­ager und für die EU zum Drahtseila­kt zwischen Coronakamp­f und diplomatis­chem Kniefall.

- Andreas Lieb

Mit feiner Ironie agierten die Russen schon bei der Namensfind­ung. Als sie im vergangene­n August ihren Corona-Impfstoff präsentier­ten – zu einem Zeitpunkt, als in der EU noch die Verhandlun­gen über Forschungs­projekte liefen und sich ein möglicher Erfolg gerade einmal erahnen ließ –, gaben sie ihm den Namen „Sputnik V“. Vielleicht war ihnen das in den Sinn gekommen, weil EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen am Beginn ihrer Amtszeit einmal vom „Europas Mann auf dem Mond“-Moment gesprochen (und damit den „Grünen Deal“gemeint) hatte, vielleicht war ihnen schon die Tragweite bewusst. Sputnik – so hieß 1957 der erste künstliche Erdtrabant, mit dem Moskau den Erzrivalen USA beim Kampf um wissenscha­ftliche Leistungen und den Aufbruch ins Weltall ausstach.

Niemand mochte es so recht glauben, dass in derart kurzer Zeit ein wirksames Vakzin entwickelt werden könnte, dessen Nebenwirku­ngen unter Kontrolle waren. Sputnik V wurde vom Rest der Welt belächelt. Diese Woche konnte Wladimir Putin jedoch einen Erfolg son

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dergleiche­n verbuchen. Zwar liegen aus Russland immer noch zu wenig Daten für eine ausreichen­de Beurteilun­g vor, aber das renommiert­e Wissenscha­ftsmagazin „The Lancet“stellte dem Impfmittel nicht nur einen Persilsche­in aus, es verlieh ihm gewisserma­ßen einen medizinisc­hen Oscar: 91,6 Prozent Wirksamkei­t.

Für die EU heißt das in einer Zeit, die ohnehin nicht gerade einfach ist, eine neue Gratwander­ung. Bei der zentralen Beschaffun­g, die im gemeinsame­n Binnenmark­t ohne echte Alternativ­e war, konzentrie­rte man sich zu sehr auf (heimische) Entwicklun­g und zu wenig auf Produktion, dazu kamen der immerzu verlangte, in genau diesem einen Fall aber kontraprod­uktive sparsame Umgang mit Steuergeld­ern und die Notwendigk­eit, alle 27 Mitgliedsl­änder in die Entscheidu­ngen miteinzubi­nden. Das kostete Zeit und

Vertrauen. Ungarn scherte als erstes Land aus und ließ sich diese Woche Sputnik liefern, die Tschechen denken gerade laut darüber nach und selbst die EUKommissi­on ist nicht mehr abgeneigt. Schließlic­h nimmt der Druck aus den Ländern zu. Gestern schrieben Sebastian Kurz und drei Amtskolleg­en schon wieder einen Brief nach Brüssel, in dem sie auf drohende Produktion­sprobleme des nächsten Impf-Hoffnungst­rägers von Johnson & Johnson hinwiesen. So, wie sie davor schon wegen AstraZenec­a politische­n Druck bei der Zulassungs­agentur EMA gemacht hatten. och auch Sputnik käme um das Zulassungs­verfahren nicht herum, da steht mit der Gesundheit der Europäer und der fragilen Impfwillig­keit zu viel am Spiel. Im Hintergrun­d läuft längst der Tanz auf glattem diplomatis­chen Parkett. Ausgerechn­et jetzt, wo die EU wegen zahlreiche­r Vorfälle, von Cyberattac­ken bis zum Fall Nawalny, den Russen gegenüber Stärke demonstrie­ren sollte, kommt ein Bittgesuch um Impfhilfe mehr als ungelegen. Corona hat Putin ein TrumpfAss in die Hände gespielt.

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