Liebesgrüße aus Moskau
Das russische Impfmittel Sputnik V wird für Wladimir Putin zum Exportschlager und für die EU zum Drahtseilakt zwischen Coronakampf und diplomatischem Kniefall.
Mit feiner Ironie agierten die Russen schon bei der Namensfindung. Als sie im vergangenen August ihren Corona-Impfstoff präsentierten – zu einem Zeitpunkt, als in der EU noch die Verhandlungen über Forschungsprojekte liefen und sich ein möglicher Erfolg gerade einmal erahnen ließ –, gaben sie ihm den Namen „Sputnik V“. Vielleicht war ihnen das in den Sinn gekommen, weil EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Beginn ihrer Amtszeit einmal vom „Europas Mann auf dem Mond“-Moment gesprochen (und damit den „Grünen Deal“gemeint) hatte, vielleicht war ihnen schon die Tragweite bewusst. Sputnik – so hieß 1957 der erste künstliche Erdtrabant, mit dem Moskau den Erzrivalen USA beim Kampf um wissenschaftliche Leistungen und den Aufbruch ins Weltall ausstach.
Niemand mochte es so recht glauben, dass in derart kurzer Zeit ein wirksames Vakzin entwickelt werden könnte, dessen Nebenwirkungen unter Kontrolle waren. Sputnik V wurde vom Rest der Welt belächelt. Diese Woche konnte Wladimir Putin jedoch einen Erfolg son
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dergleichen verbuchen. Zwar liegen aus Russland immer noch zu wenig Daten für eine ausreichende Beurteilung vor, aber das renommierte Wissenschaftsmagazin „The Lancet“stellte dem Impfmittel nicht nur einen Persilschein aus, es verlieh ihm gewissermaßen einen medizinischen Oscar: 91,6 Prozent Wirksamkeit.
Für die EU heißt das in einer Zeit, die ohnehin nicht gerade einfach ist, eine neue Gratwanderung. Bei der zentralen Beschaffung, die im gemeinsamen Binnenmarkt ohne echte Alternative war, konzentrierte man sich zu sehr auf (heimische) Entwicklung und zu wenig auf Produktion, dazu kamen der immerzu verlangte, in genau diesem einen Fall aber kontraproduktive sparsame Umgang mit Steuergeldern und die Notwendigkeit, alle 27 Mitgliedsländer in die Entscheidungen miteinzubinden. Das kostete Zeit und
Vertrauen. Ungarn scherte als erstes Land aus und ließ sich diese Woche Sputnik liefern, die Tschechen denken gerade laut darüber nach und selbst die EUKommission ist nicht mehr abgeneigt. Schließlich nimmt der Druck aus den Ländern zu. Gestern schrieben Sebastian Kurz und drei Amtskollegen schon wieder einen Brief nach Brüssel, in dem sie auf drohende Produktionsprobleme des nächsten Impf-Hoffnungsträgers von Johnson & Johnson hinwiesen. So, wie sie davor schon wegen AstraZeneca politischen Druck bei der Zulassungsagentur EMA gemacht hatten. och auch Sputnik käme um das Zulassungsverfahren nicht herum, da steht mit der Gesundheit der Europäer und der fragilen Impfwilligkeit zu viel am Spiel. Im Hintergrund läuft längst der Tanz auf glattem diplomatischen Parkett. Ausgerechnet jetzt, wo die EU wegen zahlreicher Vorfälle, von Cyberattacken bis zum Fall Nawalny, den Russen gegenüber Stärke demonstrieren sollte, kommt ein Bittgesuch um Impfhilfe mehr als ungelegen. Corona hat Putin ein TrumpfAss in die Hände gespielt.
D