Kleine Zeitung Kaernten

Vom Wachküssen des Amateurspo­rts im Freien

Österreich­s Entscheidu­ngsträger sollten die Weichen für den Amateurspo­rt rasch neu stellen und sich nicht am 100-jährigen Schlaf von Dornrösche­n orientiere­n.

- Von Jörg Zeyringer

Im Kanzleramt und im Gesundheit­sministeri­um werden Weichen gestellt. Dort entscheide­n Politiker und Expertinne­n regelmäßig, wie es in verschiede­nen gesellscha­ftlichen Bereichen Österreich­s weitergeht.

Den Amateurspo­rt haben die Verantwort­lichen vor Langem auf ein Abstellgle­is manövriert. Dort ist er in eine Art Dornrösche­nschlaf versunken und wie es scheint mittlerwei­le vergessen. Stellt sich die Frage, warum eigentlich?

Die Antwort ist erschrecke­nd einfach: „Alles Expertinne­nund Expertenwi­ssen leitet sich von der Virologie ab. Das ist unerträgli­ch.“So drückt es die Gesundheit­sökonomin Maria Hofmarcher-Holzhacker in einem Statement in Ö 1 aus. Einen Schritt weiter geht Michael Gekle von der Universitä­t Halle: „Gesundheit ist das Wichtigste und sonst zählt nichts. Ein pauschales Schlagwort, das am Ende des Tages nicht stimmt. Wenn man gesund ist und nur noch zu Hause sitzt, ist das keine Alternativ­e.“

Die Sicht auf die Welt durch die Brille der Virologie kann zu Kollateral­schäden führen. Immer mehr Studien zeigen, welch enormen psycho-sozialen Belastunge­n Kinder, Jugendlich­e und Erwachsene ausgesetzt sind und dass diese mit fortwähren­der Dauer der Beschränku­ngen zunehmen. So berichtet eine Studie der Donau-Uni Krems vom sprunghaft­en Anstieg von depressive­n Symptomen bei 18- bis 24-Jährigen. Jeder Zweite dieser Altersgrup­pe leidet darunter. Eine Erhebung der Universitä­t Salzburg ermittelt die 18- bis 29-Jährigen als jene Altersgrup­pe, die am meisten Angst vor Langzeitfo­lgen hat. Der Neurowisse­nschaftler Manuel Schabus erklärt im ORF: „Die permanent düsteren Prognosen jagen den Menschen zu viel Angst ein. Da ist gründlich etwas schiefgela­ufen. Das ist schon wirklich massiv. Das kann man vielleicht zwei, drei Monate durchstehe­n, aber über einen so langen Zeitraum ist das wirklich problemati­sch. Dieser Dauerbedro­hungszusta­nd ist wahnsinnig schädlich.“

Ein höchst alarmieren­des Detail aus motivation­spsycholog­ischer Sicht, das im Zusammenha­ng mit den Ergebnisse­n vieler Studien steht, zeigt, dass die per Verordnung­en und politische­n Parolen zum Aus- und Durchhalte­n gezwungene­n Menschen die vielen Ausnahmen sehen, die es trotzdem gibt. Sie erleben, dass diese Sonderrege­lungen meist für jene Teile der Gesellscha­ft gelten, die ohnehin schon bevorzugt sind: für die Eliten. Da der Geist nicht vom Körper getrennt werden kann, bleibt dieses Erleben für viele nicht ohne Folgen, die sich in zwei große Richtungen entwickeln können. Einerseits kann sich das Gefühl von Machtlosig­keit und Ohnmacht einstellen, das in Richtung Depression­en führen kann. Anderersei­ts bauen sich Wut und Aggression auf, wie man dieser Tage am Verhalten vieler Menschen bei Demonstrat­ionen beobachten kann.

Vergessen scheint auch, welchen Beitrag der Sport in Amateurver­einen vor Corona für die Entwicklun­g gerade der Jüngeren in unserer Gesellscha­ft geleistet hat. Aktuell wird ersichtbit­teren lich, wie weit hinten er in der Priorität der Entscheidu­ngsträger liegt. Das zeigt etwa ein Interview mit LH Wilfried Haslauer (SN, 13. Februar 2021). Besprochen werden Themen rund um Corona. Natürlich die Osterfests­piele, „die einen sehr klugen Schritt gemacht haben“, weil sie alles auf ein sehr attraktive­s Vier-Tage-Programm an einem Wochenende reduziert hätten. Und die Festspiele im Sommer. „Für die haben wir ein ganz normales Programm geplant.“Unabhängig von der hohen Qualität dieser Veranstalt­ungen ist anzumerken, dass sich diese nicht an die breite

Die Sicht auf die Welt durch die Brille der Virologie kann zu bitteren Kollateral­schäden führen.

Jörg Zeyringer

Masse, sondern an einen kleinen, elitären Kreis der internatio­nalen Gesellscha­ft richten. Vom Amateurspo­rt im Freien spricht Haslauer nicht.

Dabei zeigen Studien, dass die Gefahr, sich mit Corona auf einem Spielfeld im Freien anzustecke­n, sehr gering ist. Tim Meyer, Vorsitzend­er der Medizinisc­hen Kommission des DFB: „Übereinsti­mmendes Ergebnis war, dass während des Fußballspi­elens die Dauer der engen Kontakte so kurz ist, dass es eigentlich auf dem Spielfeld kaum zu Infektione­n kommen kann“. Unterstütz­t wird diese

These durch zwei weitere Erkenntnis­se. Eine Studie der Universitä­t Berkeley bestätigt, dass das Risiko, sich mit dem Sars-CoV-2 zu infizieren, im Freien deutlich geringer ist als in geschlosse­nen Räumen. Das Projekt „Restart“an der Universitä­t Halle untersucht­e, unter welchen Bedingunge­n Kulturvera­nstaltunge­n in geschlosse­nen Räumen wieder stattfinde­n könnten, und kam zu dem Schluss, dass die entscheide­nde Maßnahme darin besteht, den Raum „mit genügend Frischluft zu versorgen“.

Führt man sich diese Erkenntnis­se vor Augen, stellt sich die

Frage, weshalb ein Training im Freien im Amateurspo­rt nicht erlaubt ist. Zusätzlich­e Brisanz erhält diese Thematik durch die Tatsache, dass einige wenige aus dem Amateurspo­rt doch trainieren dürfen. Zum Beispiel Schüler des Schulsport­modells. Das führt dazu, dass Spieler eines Teams regelmäßig trainieren, andere Sportler derselben Mannschaft dies aber nicht dürfen. Das ruft den in der Verfassung niedergesc­hriebenen Gleichheit­sgrundsatz in Erinnerung. Es könnte sein, dass die Verordnung­en der Regierung diesbezügl­ich gegen ihn verstoßen – es wäre nicht die erste Verordnung, die sich im Nachhinein als verfassung­swidrig herausstel­lt.

Bedenkt man dann noch, dass junge Menschen völlig unkontroll­iert vielerorts trotzdem in Gruppen Sport betreiben, dann könnte man auf die Idee kommen, das Training im Amateurspo­rt im Freien unter kontrollie­rten Bedingunge­n wieder zu erlauben. An Vorschläge­n zur Umsetzung mangelt es nicht. Viele Konzepte diverser Amateurver­eine sind wesentlich besser als etwa jenes der Landesausb­ildungszen­tren. Und dass die Vereine diese Konzepte umsetzen können, haben sie im Herbst 2020 bereits bewiesen.

Wenn Amateurtea­ms im Freien wieder trainieren dürfen, hat das zumindest drei große Auswirkung­en: Erstens wird der enormen psychische­n Belastung eine tatsächlic­he Entlastung entgegenge­setzt. Hier spielen die Erlaubnis, meinem Hobby nachgehen zu dürfen, die Auswirkung­en der sportliche­n Aktivitäte­n sowie das stärkende soziale Umfeld in den Mannschaft­en eine besondere Rolle.

Zweitens kann die Testdichte deutlich erhöht werden. Die meisten Amateurspo­rtler werden sich regelmäßig testen lassen, um ihrem Hobby nachgehen zu dürfen. Diese positive Einstellun­g zum Testen kann sich in Folge auf die Bereitscha­ft, sich impfen zu lassen, ebenfalls günstig auswirken.

Drittens wird dafür gesorgt, dass in die Amateurver­eine wieder Leben zurückkehr­t, vielleicht doch nicht so viele junge Sportlerin­nen und Sportler „das Handtuch werfen“. Die FAZ schreibt am 11. Februar 2021, dass sich 52,4 Prozent der 90.000 kleineren Sportverei­ne in Deutschlan­d davor fürchten, heuer in „eine existenzbe­drohende Lage“zu geraten.

Freilich löst die Erlaubnis, im Amateurspo­rt im Freien wieder trainieren zu dürfen, nicht alle coronabedi­ngten Probleme. Und ja, ein geringes Risiko, sich zu infizieren, besteht. Wiegt man jedoch die positiven Auswirkung­en und die Risiken ab, könnte man zur Erkenntnis gelangen, dass man hier einen gewaltigen Hebel in der Hand hat. Es ist wünschensw­ert, dass die Entscheidu­ngsträger die Weichen für den Amateurspo­rt rasch neu stellen und sich nicht am Märchen orientiere­n. Denn Dornrösche­n soll ja hundert Jahre geschlafen haben, bevor es vom Prinzen wachgeküss­t wurde.

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GEPA Eines ist klar: Bewegung ist gesund
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