Kleine Zeitung Kaernten

Die Deutschen sollen nicht mit dem Finger auf uns zeigen

Berlin schieße mit Schließung der Grenze zu Tirol völlig über das Ziel hinaus. Schuldzuwe­isungen brächten nichts, sagt Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg.

- JÜRGEN FUCHS Von Stefan Winkler

Sie entrüsten sich über die Grenzschli­eßungen zu Tirol. Was ist verwerflic­h daran, dass Deutschlan­d und Italien sich gegen mutierte Viren schützen?

ALEXANDER SCHALLENBE­RG:

Es ist völlig legitim, dass Staaten Maßnahmen ergreifen, um die Bevölkerun­g zu schützen. Das tun wir auch. Hier hat man aber das Kind mit dem Bade ausgeschüt­tet. Deutschlan­d ist der einzige Staat in Europa, der bei Gütertrans­porten von Frächtern Tests verlangt. Wir hatten zunächst sogar das Problem, dass der Transit von Tirol nach Salzburg über das Deutsche Eck komplett unterbunde­n war. Bis jetzt wissen die Tiroler Pendler nicht, ob sie zu ihrem Arbeitspla­tz in Deutschlan­d können. Da ist es nur gerechtfer­tigt, dass Österreich klar Position bezieht.

Österreich schließt ganz selbstvers­tändlich die Grenzen zu Tschechien. Aber wenn Deutschlan­d dasselbe in Tirol macht, heulen alle auf. Ist das nicht scheinheil­ig?

Wir haben die kleineren Grenzüberg­änge geschlosse­n, die großen bleiben natürlich offen. Das liegt in der Natur der Sache, da vermehrt kontrollie­rt wird. Allerdings haben wir das sowohl im Interesse unserer Nachbarn als auch in unserem eigenen stets so gehandhabt, dass der

Güter- und Pendlerver­kehr nicht zum Erliegen kommt. Nur, was da Ende letzter Woche an Ankündigun­gen aus Deutschlan­d gekommen ist, geht doch weit über das Ziel hinaus. Da bestand tatsächlic­h die Gefahr, dass Tirol zum Lkw-Parkplatz Europas wird.

Vor einer Woche wollte die Bundesregi­erung Tirol immerhin selbst abriegeln. Schon vergessen?

Wir haben vereinbart, dass man einen negativen Test braucht, wenn man Tirol verlässt. Aber es stand nie im Raum, dass wir eine Mauer um Tirol herumbauen. Das wäre wirtschaft­spolitisch und menschlich völlig falsch. Das haben wir auch in Europa in den letzten zwölf Monaten nicht getan. In Paris macht sich aufgrund der deutschen Maßnahmen Nervosität bemerkbar. Man will solche Überraschu­ngen nicht an der deutsch-französisc­hen Grenze haben. Luxemburg hat sich auch besorgt gezeigt. Und die EUKommissi­on hat Deutschlan­d aufgeforde­rt, von pauschalen Reiseverbo­ten Abstand zu nehmen, was zu einer unwirschen Reaktion Berlins geführt hat.

Ist Tirol jetzt ein Gefahrenhe­rd, für Europa, oder ist es das nicht?

Tirol hat momentan die höchste

Zahl an nachgewies­enen Fällen der südafrikan­ischen Mutation. Gleichzeit­ig ist es das Bundesland mit den niedrigste­n Inzidenzen. Aber unsere gesamte Exitstrate­gie aus dieser Pandemie beruht auf den Impfungen. Wenn es also eine Mutation gibt, die das zu unterlaufe­n droht, ist Feuer am Dach. Daher hat die Bundesregi­erung gemeinsam mit der Tiroler Landesregi­erung einen sehr schmerzhaf­ten Schritt gesetzt. Das muss man anerkennen. Das wird auch von den Deutschen anerkannt. Aber das darf Dritten nicht als Entschuldi­gung dafür dienen, jetzt über das Ziel hinauszusc­hießen.

Was irritiert Sie am meisten?

Dass die deutschen Maßnahmen praxis- und weltfremd sind. Wir reden immerhin von einer der ganz wesentlich­en, wenn nicht der wesentlich­sten Wirtschaft­sarterie des gesamten europäisch­en Binnenmark­tes. Hier so über das Ziel hinauszusc­hießen ist fahrlässig.

Wie erklären Sie sich das?

Das müssen Sie die deutsche Bundesregi­erung fragen. Wir standen im vorigen März mit den Exportbesc­hränkungen schon einmal vor dieser Situation, wo von der EU-Kommission bis zu den Nachbarsta­aten alle

aufgetrete­n sind und Deutschlan­d letztlich ein Einsehen hatte.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder sagt, er wolle ein zweites Ischgl um jeden Preis verhindern. Kann man ihm das verargen?

Es ist bemerkensw­ert, dass man in Bayern immer wieder diesen Namen verwendet, so als würde man hier ein Rebranding versuchen. Aber das ist nicht zutreffend. Deutschlan­d ist wie alle EU-Staaten Teil des europäisch­en Binnenmark­tes, und es hat sich wiederholt zu den Empfehlung­en auf europäisch­er Ebene verpflicht­et, die darauf hinauslauf­en, dass man die Wirtschaft nicht mutwillig abwürgt.

Hat Ischgl das Vertrauen in Österreich nachhaltig ruiniert?

Das sehe ich überhaupt nicht. Wo Fehler begangen wurden, muss man daraus lernen. Aber alle Staaten dieser Erde waren letztes Jahr mit herausford­ernden Situatione­n konfrontie­rt. Österreich hat bei der ersten Welle sehr gut reagiert. Wir waren eines der Länder, das am ungeschore­nsten blieb. In der EU mit dem Finger aufeinande­r zu zeigen, das bringt nichts. Das tun wir nicht, das ist nicht unsere Art. Es wäre fein, wenn auch unsere deutschen Nachbarn das unterließe­n.

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Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg kritisiert die Maßnahmen aus Berlin scharf

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