Kleine Zeitung Kaernten

Über die Kunst, die Welt mit anderen Augen zu sehen

Wer meint, sich „in Zeiten wie diesen“das Fasten ersparen zu können, bedenkt nicht den Charme und die Kraft seiner Fantasie. Ein Essay über das Erfinden besserer Wege.

- Von Arnold Mettnitzer

Im Moment rumort es gehörig auf fast allen Ebenen unserer Gesellscha­ft. Wirtschaft­lich, politisch und psychisch wird vielen Menschen viel zugemutet, manchen weit mehr, als sie ertragen können. Beeindruck­end negativ sind die Sonderberi­chte und Schlagzeil­en dieser Tage. Der deutsche Innenminis­ter formuliert seine Sorge, dass die Virusmutat­ion aus Tirol „zu uns rüberschwa­ppt“, wie er sich ausdrückte, und suggeriert damit Dreck und Schmuddele­i jenseits deutscher Grenzen, wofür er auch von der „Süddeutsch­en Zeitung“entspreche­nd gescholten wurde. In Österreich beeindruck­en die in allen Medien breit ausgeschla­chteten Rücktritts­forderunge­n, Sondersitz­ungen und gegenseiti­gen Verdächtig­ungen hin und her gebeutelte­r politisch Verantwort­licher, deren Politik sich momentan so ausnimmt, „als wäre nichts gewesen“. Im Blick auf all das hat es ein jährlich wiederkehr­ender Aschermitt­woch schwer, sich

zu verschaffe­n. Was sollten wir denn auch nach den Entbehrung­en der letzten zwölf Monate noch alles voneinande­r verlangen? Fühlt sich nicht ohnehin das gesamte vergangene Jahr wie eine weltweit verordnete Fastenzeit an!?

Trotzdem lohnt es sich, statt schwarzzum­alen, nach vorne zu schauen und mit allem zu rechnen, auch mit dem Guten! Die Neurobiolo­gen nennen eine solche Haltung „Kohärenzwi­ederherste­llungskomp­etenz“und meinen damit einfach nur: Statt gekränkt darüber zu sein, dass das Leben im Moment die Erwartunge­n nicht erfüllt, darauf gespannt zu bleiben, was uns kraft der in jedem Menschen schlummern­den Fantasie einfällt, diese Zeit so zu gestalten und zu erleben, dass wir später einmal im Blick zurück „erntedankb­ar“werden sagen können: „Wer hätte damals an all das gedacht, was uns da miteinande­r alles eingefalle­n ist, wie wir diese Krise gemeinsam bewältigt haben! Und es zeigen sich ja jetzt schon neben den zu Recht beklagten Kollateral­schäden an vielen Stellen Kollateral­nutzen. Von vielen Menschen weiß ich, dass sie in dieser Zeit Nachbarsch­aft neu entdeckt haben. „Vielleicht“, vermutete jemand, „sind wir in dieser Zeit sogar bessere Menschen geworden!?“

Fasten als die Kunst, die Welt mit anderen Augen zu sehen, hieße, das Kostbarste, was ein Mensch hat – seine Erlebnisse – als sein Paradies zu erkennen, aus dem ihn niemand vertreiben kann; die dabei gemachten Erfahrunge­n auch als die Basis seines Vertrauens zu begreifen, weil er es in jedem Moment seines Lebens in der Hand hat, darüber zu entscheide­n, welchen Stellenwer­t er diesen seinen Erfahrunge­n einräumt. Wer nämlich Erfahrunge­n

„macht“, wie wir sagen, erfährt dabei ja nicht nur, was an ihm geschieht, sondern immer auch das, was er daraus

„macht“. Das

Entscheide­nde dabei ist seine von ihm entwickelt­e Fantasie; mit ihr gelingt es ihm, sich in der Kunst zu üben, persönlich­e

Erfahrunge­n so zu deuten, dass ihm daraus Neugier,

Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen erwachsen. Gleichzeit­ig verabreich­t er sich damit einen neurobiolo­gisch getesteten verlässlic­hen Impfstoff gegen Misstrauen, Angst, Enttäuschu­ng und Wut, wie wir sie im Moment in hohem Maße in unserer Gesellscha­ft erleben. So würde für ihn die Fantasie zum gediegenen „gewusst wie“, zur Fähigkeit, aus den ausgetrete­nen Pfaden alter Denk- und Handlungsm­uster auszusteig­en und neue Wege zu gehen. Der Charme und die Kraft der Fantasie bestehen in ihrer UnGehör erschöpfli­chkeit beim Erfinden besserer Wege!

Angesichts der momentanen Krise entwickeln viele Menschen eine eigenartig­e Nostalgie. Sie erinnern sich an das, was vor einem Jahr (noch) war, was sie damals (noch) „gehabt“haben und jetzt nicht mehr haben können. Und ängstlich schauen sie nach vorne und

fragen sich, ob sie das, was sie einmal gehabt haben, später wieder werden „haben“können!?

Schon Erich Fromm warnt in seinem Alterswerk „Haben oder Sein?“(1975) davor, unsere Lebensprax­is so sehr am alleinigen Haben-Wollen festzumach­en, dass uns beim Wort „Vermögen“nur „Bares als Wahres“einfällt und so das wahre Vermögen des Menschen überlagert wird, seine in ihm schlummern­den seelischen Eigenkräft­e der Liebe, der Vernunft und des produktive­n Tuns. Anstatt also sich ängstlich zu fragen, ob er das, was er gehabt hat, auch später wieder haben kann, könnte der Mensch sich fragen, wie viel von dem, was er hat, er auch tatsächlic­h braucht, und wozu er im Guten fähig ist! Dazu drei homöopathi­sch dosierte Gedanken, deren Wirksamkei­t auch zum Ende der Fastenzeit garantiert noch zu gebrauchen ist:

1

Achte auf deine Gedanken!

Bei einem am 19. Februar 2020 vom Herrn Bundespräs­identen ihm zu Ehren gestaltete­n Abendessen in der Wiener Hofburg hielt Peter Handke

Großes Denken ist genauso ansteckend wie kleinkarie­rtes. Großes Denken

aber macht weit und froh, kleinkarie­rtes lässt uns früher altern.

Arnold Mettnitzer

eine bemerkensw­erte Tischrede. Darin versuchte er seine Landsleute zu einem „fruchtbare­n Größenwahn“zu überreden, dazu, das Land, seine Menschen und sich selbst darin groß zu denken. Obwohl wir samt und sonders fragliche Gestalten seien, so Handke, wäre es doch „gewaltig, was wir sind“. Großes Denken ist genauso ansteckend wie kleinkarie­rtes Denken. Großes Denken aber macht weit und froh, während kleinkarie­rtes Denken uns erwiesener­maßen schneller altern lässt! Gute Gedanken schaffen in uns Frieden und innere Ruhe. – Gefühle des Grolls untergrabe­n das Glück, den Erfolg und die Gesundheit.

2

Achte auf deine Worte!

Selbst in den dunkelsten Stunden seines Lebens hatte Viktor Frankl nie aufgehört daran zu glauben, dass das Leben „unter allen Umständen Sinn“hat und dass diese unsere Welt zwar „nicht heil, aber heil-bar“ist. Wer im Moment Zeitungen liest und Nachrichte­n hört, muss lange suchen, bis er Spuren dieser Heilbarkei­t findet. Im Spannungsf­eld von Pandemiebe­kämpfung, Korruption­sverdacht, Abschiebed­rama und einem damit verbundene­n Koalitions­krach erleben wir eklatante Reibungsve­rluste auf vielen Ebenen, verbunden mit einer unheilvoll­en Verrohung der Sprache. Schon zur Mitte des ersten vorchristl­ichen Jahrtausen­ds warnt Konfuzius: „Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.“

3

Bei allem, was du tust, denk an das Ende!

Ohne Zweifel hat uns diesmal schon lange vor dem Aschermitt­woch das Coronaviru­s Asche aufs Haupt gestreut und uns in einer weltweiten Neuinszeni­erung des „Jedermann“die Zerbrechli­chkeit unseres Lebens vor Augen geführt. Das bedeutet aber noch nicht, dass wir dadurch mit Tod, Krankheit und dem Älterwerde­n im Alltag besser zurechtkäm­en; wenn es nur irgendwie geht, lassen wir uns unser „Fest der Unsterblic­hkeit auf Zeit“(Georges T. Roos) nicht stören. Aber es lohnt sich, bei allem, was wir tun, an das Ende zu denken! So jedenfalls lehrt es der biblische Weisheitsl­ehrer Jesus Sirach (7,6). Der bewusste Blick auf das Ende lässt uns „abschiedli­ch“leben, lässt Krisen und Schwierigk­eiten nicht ewig dauern und bewahrt nicht zuletzt vor dem Übermut glückliche­r Tage. Das mag wohl auch, wie die Legende berichtet, einen mächtigen Menschen dazu bewogen haben, alle Weisen des Landes zu versammeln und sich von ihnen einen Gegenstand zu wünschen, der ihn glücklich macht, wenn er traurig ist und der ihn traurig macht, wenn er glücklich ist. Zu guter Letzt überreiche­n sie ihm einen Ring, in den die Worte eingravier­t sind: „Auch das wird vergehen.“

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