Kleine Zeitung Kaernten

„Beide stürzen immer wieder in tiefe Zweifel“

Felix Kucher verknüpft in seinem neuen Roman die Schicksale der Revolution­ärin Tina Modotti und der Buchhändle­rin Marie Rosenberg.

- Von Marianne Fischer

Über sie wurde viel geschriebe­n: Tina Modotti war in Italien Textilarbe­iterin, in den USA Schauspiel­erin, in Mexiko Fotografin und schließlic­h als überzeugte Kommunisti­n für die Sowjetunio­n unter Stalin in der halben Welt unterwegs. Zu ihren Weggefährt­en zählten Diego Rivera und Frida Kahlo oder Anna Seghers. Pablo Neruda würdigte sie nach ihrem frühen Tod im Alter von 47 Jahren in einem Gedicht.

In seinem neuen Roman „Sie haben mich nicht gekriegt“, der am Mittwoch in die Buchhandlu­ngen kommt, lässt Felix Kucher die überzeugte Revolution­ärin auf die eher unbekannte Buchhändle­rin Marie Rosenberg treffen, die gleichzeit­ig ein gänzlich anderes Leben führte: Die Jüdin verkaufte in Fürth noch aus der Wohnung heraus Bücher, bevor ihr 1939 praktisch in letzter Sekunde die Flucht vor den Nazis in die USA gelang. In New York eröffnete sie eine Buchhandlu­ng für deutschspr­achige Bücher. Ihr Geschäft am Broadway, in dem sie bis zu ihrem Tod 1992 hinter dem Tresen stand, wurde zum Treffpunkt für Buchliebha­ber und Emigranten, Autoren wie Thomas Mann, Albert Einstein, Franz Werfel oder Alfred Döblin gehörten zu ihren Kunden.

Was war das Reizvolle daran, diese beiden Lebensläuf­e zu verknüpfen?

FELIX KUCHER: Die beiden Frauen haben zur selben Zeit gelebt, jedoch mit völlig entgegenge­setzten Lebensentw­ürfen. Während die eine ihr Leben lang für die kommunisti­sche

Revolution und die klassenlos­e Gesellscha­ft kämpfte, lebte die andere für die Welt der Bücher und erhoffte – das unterstell­e ich ihr zumindest – von diesen eine bessere Welt.

Welches Lebenskonz­ept hat Sie dabei mehr fasziniert?

Das ist schwer zu sagen. Beide Lebensentw­ürfe haben ihre Faszinatio­n, aber auch ihre Beschränku­ngen: Die revolution­äre Perspektiv­e Tina Modottis scheut auch vor Gewalt nicht zurück, die Lebenswelt der Buchhändle­rin läuft Gefahr, sich der Weltveränd­erung zu verschließ­en. Wichtig ist es für mich gewesen, beide Protagonis­tinnen in ihrer Ambivalenz darzustell­en. Beide stürzen immer wieder in tiefe Zweifel, zaudern, hadern mit sich selbst.

Welche Rolle hat es für Sie gespielt, dass Tina Modotti als Kind in Kärnten lebte?

Das war für mich eine Überraschu­ng, aber nicht das ausschlagg­ebende Moment. Über Tina Modottis Leben wurde ja viel geschriebe­n, aber über ihre ersten sieben Lebensjahr­e, die sie in Klagenfurt und Ferlach als Kind italienisc­her Fremdarbei­ter verbrachte, ist fast nichts bekannt. Es war sehr reizvoll, hier den Versuch zu unternehme­n, eine proletaris­che Kindheit im Kärnten der Jahrhunder­twende zu beschreibe­n.

Wie ist es, in Zeiten von Corona ein Buch zu veröffentl­ichen und es nicht vor Publikum präsentier­en zu können?

Schlimm! Gerade Buchpräsen­tationen und Lesungen leben vom Kontakt mit dem Publikum, das umfasst nicht nur die Lesung und die Diskussion selbst, sondern auch das Davor und Danach der Veranstalt­ung. Anderersei­ts gibt es bei vielen Buchvorste­llungen im Livestream gar nicht so wenig Teilnehmer, von denen auch Feedback kommt.

Online-Präsentati­on. 25. Februar um 18 Uhr. Österreich­ische Gesellscha­ft für Literatur. www.facebook.com/Literaturg­esellschaf­t/

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FEUERSÄNGE­R Felix Kucher: „Gerade Buchpräsen­tationen und Lesungen leben vom Kontakt mit dem Publikum“

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