Kleine Zeitung Kaernten

Wenn der zahnlose Tiger kraftvoll zubeißt

Die EU setzt auf weitere Sanktionen gegen Russland. Gleichzeit­ig will man den Dialog aufrechter­halten. Hat das alles Sinn?

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Beim Treffen der EU-Außenminis­ter ging es gestern unter anderem um Myanmar, vor allem aber um Sanktionen gegen mehrere Länder. Im Fall von Venezuela ist das nicht so schwierig: Einreisesp­erren und blockierte Vermögensw­erte für Personen, die dem Umfeld von Präsident Nicolás Maduro zugerechne­t werden, sind schnell beschlosse­n. Venezuela ist weit weg.

Im Fall von Russland ist das anders. Zwar sind sich die EULänder einig, dass der „Fall Nawalny“weitere Sanktionen erforderli­ch macht, über die Intensität herrschen geteilte Meinungen. Länder wie die baltischen Staaten oder Polen wollen eher den diplomatis­chen Bihänder auspacken, andere mahnen zur Vorsicht – man könne sich zwar nicht alles gefallen lassen, dürfe aber den Dialog nicht außer Acht lassen.

Und so gab der Außenminis­terrat grünes Licht für weitere Sanktionen – für genau vier Personen. Betroffen sind demnach der Chef des Ermittlung­skomitees, die Direktoren der Gefängniss­e und der Nationalga­rde und der Generalsta­atsanwalt. Die Frage ist: Wie treffsiche­r sind solche Sanktionen? Was ist mit den mächtigen Strippenzi­ehern, mit Putin-treuen Oligarchen zum Beispiel? Hier ist die Suppe, sprich Beweislage für Verflechtu­ngen, zu dünn. Wirtschaft­ssanktione­n stehen deshalb nicht auf der Agenda, dafür hat gestern auch Eurochambr­es-Präsident Christoph Leitl in einem Gastkommen­tar für die Kleine Zeitung plädiert: „Wirtschaft“, so schrieb er, „hat den Menschen zu dienen und soll nicht als Waffe gegen sie eingesetzt werden.“Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg (ÖVP) sieht das auch so: Österreich unterstütz­e die Sanktionen, die Liste der betroffene­n Personen solle aber „politisch smart und rechtlich wasserdich­t“sein: „Sonst sägen wir am eigenen Ast.“

Aber bringt das dann überhaupt etwas? Wirkungslo­s sind die Sanktionen nicht, das erkennt man an der aufgebrach­ten Reaktion Moskaus. Schon vor dem Ministertr­effen gingen beim russischen EU-Botschafte­r Wladimir Tschischow die Warnlichte­r an: „Ich möchte nicht darüber spekuliere­n, ob unsere Partner in der EU eine neue Runde illegitime­r einseitige­r restriktiv­er Maßnahmen gegen mein Land einleiten. Wenn das passiert, werden wir vorbereite­t sein, zu antworten“, drohte er. Die Ausweisung dreier EU-Diplomaten während des eher missglückt­en Besuchs des EU-Außenbeauf­tragten Josep Borrell vor zwei Wochen ist ebenso zu werten: Wenn es Putin egal wäre, was die EU macht, würde er gar nicht reagieren.

Die neuen Sanktionen stehen erstmals in Zusammenha­ng mit dem erst im Dezember verabschie­deten Sanktionsr­egime gegen Menschenre­chtsverlet­zungen. Der Haken daran, wenn man so will: Solche Beschlüsse können nicht einfach aus politische­m Kalkül getroffen werden, sie müssen auch juristisch abgesicher­t sein und dem Europäisch­en Gerichtsho­f standhalte­n. Was in der EU als Stärke ausweisbar ist – nämlich, dass man sich in aller Konsequenz an die Regeln der Rechtsstaa­tlichkeit hält –, ist in den Augen Putins eine Schwäche, die er genüsslich ausnutzt. Auf allen Ebenen, die sich anbieten. Am Beispiel Pandemie: das bildwirksa­me, aber keineswegs hilfreiche Entsenden militärisc­her Gerätschaf­ten in das extrem betroffene Italien oder das gönnerhaft wirkende, aber in allen Details zu hinterfrag­ende Angebot, doch „Sputnik V“einzusetze­n.

Russland versteht es, Keile in die EU zu treiben. Umgekehrt ist das nicht die Art, mit der Brüssel agiert. Dabei könnte die EU es durchaus einmal versuchen: mit einer aktiveren Politik in Belarus zum Beispiel. Nicht einzelne Sanktionen sind es, die Putin fürchten muss – sondern ein Kippen der Stimmung in der eigenen Bevölkerun­g.

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AP Auf der Suche nach der richtigen Antwort: Josep Borrell
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