ÖGB-Chef Katzian: „In der Krise war der Sozialstaat der Hero“
Gewerkschaft will nicht nur „Escortservice“sein, sondern beim Entwurf für die Zukunft mit am Tisch sitzen.
Milliarden Euro an EU3,3Mitteln
stehen Österreich für den Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie zur Verfügung. Ihre Vorschläge für die Verwendung hat die Regierung bisher ignoriert?
KATZIAN: Die Diskussion über den Aufbau- und Resilienzplan läuft auf europäischer Ebene seit Herbst. Der ausdrückliche Wunsch der EU-Kommission ist es, dass die Maßnahmen in den Ländern breit unter Einbindung der Sozialpartner diskutiert und entwickelt werden. In vielen Ländern hat das schon stattgefunden, nur in drei Ländern wurde noch nichts gemacht, darunter Österreich.
Was sind Ihre Vorschläge?
58.000 offenen Stellen stehen 530.000 Arbeitssuchende gegenüber, 460.000 sind in Kurzarbeit. Wir brauchen eine Beschäftigungsund Qualifizierungsoffensive, in Richtung Gesundheit, Pflege, Elementarpädagogik. Da könnte man 90.000 neue Arbeitsplätze schaffen, vor allem auch für Frauen und Jugendliche. Das Zweite wäre unser Wunsch nach Erhöhung des Arbeitslosengeldes.
Sie haben sich auch für eine zusätzliche Förderung von Unternehmen ausgesprochen.
Ja. Wir wollen einen Fonds schaffen für Unternehmen, die im Kern gesund sind, die aber vorübergehend finanzielle Probleme haben. Die müssen wir unterstützen, damit die Arbeitsplätze gesichert bleiben. Der vierte Vorschlag bezieht sich auf den Bereich Gesundheit, Pflege und soziale Dienste: eine Pflegestiftung, über die 80.000 Menschen in Gesundheits- und
Pflegeberufe wechseln könnten.
Statt der bestehenden in den Ländern?
Die Idee wäre, einen bundesweiten Rahmen zu bauen, in den die Initiativen aus den Ländern integriert werden. Ziel ist aber, nicht die Finanzierung zu verschieben, sondern zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Fünfter Bereich schließlich sind die Digitalisierung im Bildungsbereich und der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Die Transformation ist eine enorme Herausforderung, weil wir heute viele Autozulieferer und eine energieintensive Industrie haben. Da braucht es Umschulungen. Der bestehende Fonds „Just Transition“ist viel zu klein.
Wie geht es weiter?
Mit Ministerin Edtstadler habe ich vereinbart, dass es im März eine Diskussionsrunde gibt, bei der wir dabei sind.
Ist die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern unter Türkis-Grün besser geworden als unter Türkis-Blau?
Ja, vorher hat es de facto keine bis nur informelle Kontakte gegeben, das war jetzt von Anfang an anders. Bei den Themen, wo es ein großes Interesse daran gibt, dass wir mit dabei sind, sind wir dabei. Ein gutes Beispiel sind die unterschiedlichen Modelle der Kurzarbeit. Wir wollen aber auch beim Gestalten für die Zukunft dabei sein. Ich bin kein Escortservice für die Regierung.
Mit Ihrer Forderung nach einer Vermögensabgabe sind Sie bisher abgeblitzt. Haben Sie da noch Hoffnung?
Ja. Das ist ja keine Forderung, die einen Selbstzweck erfüllen soll. Wir wünschen uns, dass wir herauswachsen aus der Krise, am Ende des Tages werden trotzdem viele Dinge zu finanzieren sein. Wer breite Schultern hat, kann viel beitragen, einem Nackerten kann ich nichts aus dem Sack nehmen. Der viel gepriesene Markt war in der Krise abgetaucht, der Sozialstaat war der „Hero“, der uns durch die Krise geführt hat. Den lass ich mir nicht zusammenschießen. Die Besitzer sehr hoher Vermögen könnten einen Beitrag leisten.