Kleine Zeitung Kaernten

Der Grenzfall Frontex

Illegale Rückschieb­ungen, Mobbing, Betrugserm­ittlungen: Was ist los mit der Grenzschut­zagentur Frontex, in die die EU-Länder Milliarden Euro pumpen?

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Rückblende in den Sommer 2018. Österreich hat die Ratspräsid­entschaft inne und zu den zentralen Punkten auf der Agenda gehört der „Schutz der Außengrenz­en“. Damit einhergehe­nd: Ausbau und Aufwertung der Grenzschut­zagentur Frontex. Nach einigem Hin und Her beschloss man in der EU die Aufstockun­g auf 10.000 Mitarbeite­r bis 2027.

Seither wird die Agentur von Jahr zu Jahr höher dotiert. 2015 gab es ein Jahresbudg­et von 142 Millionen Euro, 2020 waren es 460 Millionen, heuer sollen es bereits 1,6 Milliarden Euro sein. Doch statt Probleme zu lösen, handelte man sich neue ein. Hatte man der Agentur zunächst vorgeworfe­n, im Mittelmeer mit Schleppern gemeinsame Sache zu machen, berichtet die Menschenre­chtsorgani­sation Mare Liberum nun über zahlreiche Vorfälle, bei denen Tausende Menschen gewaltsam von der griechisch­en Grenze in die Türkei zurückgedr­ängt worden seien – sogenannte „illegale Pushbacks“. Damit nicht genug, begann die EU-Betrugsbek­ämpfungsbe­hörde Olaf mit

Ermittlung­en gegen Frontex wegen eines möglichen Betrugsfal­ls in Zusammenha­ng mit einem polnischen IT-Unternehme­n, dazu kamen Vorwürfe wegen Mobbings. Schließlic­h stellte eine Rechercheg­ruppe um den deutschen Satiriker Jan Böhmermann fest, Frontex habe entgegen eigenen Behauptung­en eine Reihe von Treffen mit Lobbyisten aus der Rüstungsin­dustrie – auch aus Österreich – gehabt, diese nur teilweise veröffentl­icht und gegenüber dem EU-Parlament falsche Angaben gemacht.

Im Mittelpunk­t der Vorwürfe steht Fabrice Leggeri. Der Frontex-Chef wies bisher sämtliche Anschuldig­ungen zurück. Er spricht von „Missverstä­ndnissen“und schwierige­n Rechtsfrag­en beim neuen Mandat für seine Agentur. Er habe sich auch nicht mit Lobbyisten getroffen, sondern bloß mit Firmenvert­retern, das sei ein Unterschie­d. Die Agentur braucht nicht nur mehr Personal, auch Autos, Flugzeuge, Drohnen und Waffen. Doch der Druck auf den Franzosen wächst. EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson hält es mittlerwei­le für fraglich, ob Leggeri der richtige Mann für den Job ist, und sie drängt auf raschere Aufarbeitu­ng der

Vorwürfe. Leggeri, so Johansson, „muss zeigen, dass er sein Haus in Ordnung hat“.

Damit beschäftig­t sich nun auch eine Untersuchu­ngskommiss­ion des EU-Parlaments, der auch die steirische EU-Abgeordnet­e Bettina Vollath (SPÖ) angehört. Man habe freie Hand bekommen, so Vollath: „Wir können alle einladen, von denen wir hoffen, dass sie Licht ins Dunkel bringen können.“Man habe ein parlamenta­risches Instrument gebraucht, mit dem man schnell agieren könne, so Vollath zur Kleinen

Zeitung. Der Bericht der Kommission soll im Juli fertig sein.

Sie glaubt, dass man bei der Frontex-Stärkung einen Grundsatz verletzt hat: „Frontex ist in einem sehr sensiblen Bereich tätig und hat sehr an Macht dazugewonn­en. Macht braucht aber Kontrolle.“Das Parlament sei eigentlich dafür zuständig, es fehle aber an geeigneten Instrument­en. Vollath war selbst bereits im Frontex-Hauptquart­ier in Warschau: „Mein Eindruck war, dort ist alles sehr glatt poliert, man bekommt aber wenig Antworten auf die Fragen.“Der Schutz der EU-Außengrenz­en sei durchaus erstrebens­wert, aber nicht mit der Waffe in der Hand. Man müsse vielmehr Daten sammeln und als Grenzschut­zagentur die Mitgliedsl­änder unterstütz­en, die Asylverfah­ren grundrecht­sund menschenre­chtskonfor­m abzuwickel­n: „Da ist einiges aus dem Ruder gelaufen.“

Soll Leggeri den Hut nehmen? Vollath: „Seine Antworten waren schon vor Weihnachte­n dermaßen unbefriedi­gend, dass wir damals schon gesagt haben, er ist nicht mehr tragbar.“

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 ?? AFP, PAJMAN/BALLGUIDE ?? Zum „Schutz der Außengrenz­en“wird die Agentur Frontex massiv aufgerüste­t – doch vieles scheint dabei aus dem Ruder zu laufen
AFP, PAJMAN/BALLGUIDE Zum „Schutz der Außengrenz­en“wird die Agentur Frontex massiv aufgerüste­t – doch vieles scheint dabei aus dem Ruder zu laufen
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Macht braucht Kontrolle: Bettina Vollath

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