Der Grenzfall Frontex
Illegale Rückschiebungen, Mobbing, Betrugsermittlungen: Was ist los mit der Grenzschutzagentur Frontex, in die die EU-Länder Milliarden Euro pumpen?
Rückblende in den Sommer 2018. Österreich hat die Ratspräsidentschaft inne und zu den zentralen Punkten auf der Agenda gehört der „Schutz der Außengrenzen“. Damit einhergehend: Ausbau und Aufwertung der Grenzschutzagentur Frontex. Nach einigem Hin und Her beschloss man in der EU die Aufstockung auf 10.000 Mitarbeiter bis 2027.
Seither wird die Agentur von Jahr zu Jahr höher dotiert. 2015 gab es ein Jahresbudget von 142 Millionen Euro, 2020 waren es 460 Millionen, heuer sollen es bereits 1,6 Milliarden Euro sein. Doch statt Probleme zu lösen, handelte man sich neue ein. Hatte man der Agentur zunächst vorgeworfen, im Mittelmeer mit Schleppern gemeinsame Sache zu machen, berichtet die Menschenrechtsorganisation Mare Liberum nun über zahlreiche Vorfälle, bei denen Tausende Menschen gewaltsam von der griechischen Grenze in die Türkei zurückgedrängt worden seien – sogenannte „illegale Pushbacks“. Damit nicht genug, begann die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf mit
Ermittlungen gegen Frontex wegen eines möglichen Betrugsfalls in Zusammenhang mit einem polnischen IT-Unternehmen, dazu kamen Vorwürfe wegen Mobbings. Schließlich stellte eine Recherchegruppe um den deutschen Satiriker Jan Böhmermann fest, Frontex habe entgegen eigenen Behauptungen eine Reihe von Treffen mit Lobbyisten aus der Rüstungsindustrie – auch aus Österreich – gehabt, diese nur teilweise veröffentlicht und gegenüber dem EU-Parlament falsche Angaben gemacht.
Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht Fabrice Leggeri. Der Frontex-Chef wies bisher sämtliche Anschuldigungen zurück. Er spricht von „Missverständnissen“und schwierigen Rechtsfragen beim neuen Mandat für seine Agentur. Er habe sich auch nicht mit Lobbyisten getroffen, sondern bloß mit Firmenvertretern, das sei ein Unterschied. Die Agentur braucht nicht nur mehr Personal, auch Autos, Flugzeuge, Drohnen und Waffen. Doch der Druck auf den Franzosen wächst. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hält es mittlerweile für fraglich, ob Leggeri der richtige Mann für den Job ist, und sie drängt auf raschere Aufarbeitung der
Vorwürfe. Leggeri, so Johansson, „muss zeigen, dass er sein Haus in Ordnung hat“.
Damit beschäftigt sich nun auch eine Untersuchungskommission des EU-Parlaments, der auch die steirische EU-Abgeordnete Bettina Vollath (SPÖ) angehört. Man habe freie Hand bekommen, so Vollath: „Wir können alle einladen, von denen wir hoffen, dass sie Licht ins Dunkel bringen können.“Man habe ein parlamentarisches Instrument gebraucht, mit dem man schnell agieren könne, so Vollath zur Kleinen
Zeitung. Der Bericht der Kommission soll im Juli fertig sein.
Sie glaubt, dass man bei der Frontex-Stärkung einen Grundsatz verletzt hat: „Frontex ist in einem sehr sensiblen Bereich tätig und hat sehr an Macht dazugewonnen. Macht braucht aber Kontrolle.“Das Parlament sei eigentlich dafür zuständig, es fehle aber an geeigneten Instrumenten. Vollath war selbst bereits im Frontex-Hauptquartier in Warschau: „Mein Eindruck war, dort ist alles sehr glatt poliert, man bekommt aber wenig Antworten auf die Fragen.“Der Schutz der EU-Außengrenzen sei durchaus erstrebenswert, aber nicht mit der Waffe in der Hand. Man müsse vielmehr Daten sammeln und als Grenzschutzagentur die Mitgliedsländer unterstützen, die Asylverfahren grundrechtsund menschenrechtskonform abzuwickeln: „Da ist einiges aus dem Ruder gelaufen.“
Soll Leggeri den Hut nehmen? Vollath: „Seine Antworten waren schon vor Weihnachten dermaßen unbefriedigend, dass wir damals schon gesagt haben, er ist nicht mehr tragbar.“