Kleine Zeitung Kaernten

Abgang mit Getöse

Seit Jahren hing der Haussegen schon schief, jetzt lassen sich Viktor Orbáns Fidesz und Europäisch­e Volksparte­i endgültig scheiden. Das laute Ende einer toxischen Beziehung.

- Andreas Lieb

Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán ließ in den letzten Jahren kaum eine Gelegenhei­t aus, seine europäisch­e Parteienfa­milie, die EVP, in Erklärungs­not zu bringen. In Personalun­ion als Regierungs­chef und Chef der Fidesz. Diese ist seit 2019 innerhalb der konservati­ven Gruppe suspendier­t, darauf hatte man sich noch im Einvernehm­en geeinigt. Nun kam aber der große Bruch mit der Fraktion. Die Fidesz trat aus, bevor sie per geändertem Regelwerk ausgeschlo­ssen bzw. ein weiteres Mal suspendier­t werden konnte.

Der Haussegen in der EVP hängt seit Jahren schief. Genauso lange ringt sie intern, wie damit umzugehen wäre. Innerhalb der Fraktion wurden Gräben aufgerisse­n, zwischen jenen, die meinten, es sei immer noch besser, Einfluss auf den rechten Rand des eigenen Spektrums zu haben, und jenen, denen die Eskapaden zu viel waren und die einen Ausschluss wollten. So einen Graben gibt es selbst innerhalb der österreich­ischen ÖVPDelegat­ion zwischen EU-Parlaments­vizepräsid­ent Othmar Karas und dem Rest des Teams. Zu den 148 Abgeordnet­en, die für

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die neuen Regeln stimmten, gehört Karas. Zu den 28 Abgeordnet­en, die sich auf Orbáns Seite schlugen, gehören (neben dessen zwölf eigenen Leuten) auch die sechs übrigen ÖVP-Mandatare. Die deutsche Delegation hingegen zögerte zunächst, schloss sich dann aber der großen Mehrheit an; angeblich, weil andere Ländergrup­pen ihrerseits mit dem Austritt gedroht hatten, sollte das Ergebnis nicht eindeutig ausfallen.

Nun hat die EVP also den Ungarn unmissvers­tändlich den Weg zur Tür gewiesen und sie sind gegangen. Die Frage ist, welche Auswirkung­en das hat. Für die EVP unmittelba­r keine: Sie war bisher die größte Fraktion im Parlament und wird es auch nach dem Abgang der zwölf Fidesz-Mandatare sein. In der Fraktion geht man davon aus, dass man sich bei Abstimmung­en auch weiterhin je nach Thema auf Marschrich­tungen einigen kann. Orbán wiederum kann darauf verweisen, nicht hinausgewo­rfen worden zu sein, sondern selbst die Konsequenz gezogen zu haben – und macht damit vielleicht sogar Punkte im eigenen Land.

Was Orbáns Zukunft innerhalb der EU betrifft, so kann man wohl davon ausgehen, dass er zunächst neue Allianzen suchen wird, vor allem bei den östlichen Nachbarn aus der Visegrád-Gruppe, vielleicht aber auch, nach dem türkisen Solidaritä­tsbeweis, in Österreich. Und er wird seinen Fokus noch mehr auf den Rat richten, wo nach wie vor das Einstimmig­keitsprinz­ip als harte Währung beim Verhandeln gilt – besonders für jene, die gern ausscheren aus dem allgemeine­n Kanon.

Späte Folgen könnten aber noch viel weiter reichen. Schon blicken Europas Rechte erwartungs­voll nach Ungarn, schon stellt sich die Frage, was Orbán als „freies Radikal“, ohne die Zügel einer konservati­ven Wertegemei­nschaft, noch vorhat. In schlechter Erinnerung ist 2009, als die britischen Konservati­ven aus der EVP austraten: Der Schritt gilt als Keimzelle des Brexits.

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