Kleine Zeitung Kaernten

Weniger online, mehr Leben

In der Pandemie sind wir mehr online denn je. Wie trotzdem ein bewusster Umgang mit dem Smartphone gelingen kann, verrät Persönlich­keitscoach Christina Feirer.

- Von Claire Herrmann

Es braucht nur einen Pieps von sich zu geben oder kurz aufzuleuch­ten und schon hat es uns in seinen Bann gezogen: Die Rede ist von unserem Smartphone. Dabei wollte man sich doch gerade auf die Arbeit konzentrie­ren. Aber wo man das Handy gerade schon einmal in der Hand hat, kann man ja schnell die Mails checken. Ehe man es sich versieht, verstreich­t so Minute um Minute, ohne dass wir es so recht bemerken. Wie aber gegensteue­rn?

Die Zauberform­el heißt „Digital Detox“, digitale Entgiftung. Persönlich­keits- und Hypnosecoa­ch Christina Feirer bevorzugt den Begriff der digitalen Achtsamkei­t. Ihrer Ansicht nach geht es bei Digital Detox nämlich nicht darum, das Smartphone zu verteufeln oder gar aus dem Leben zu verbannen. Vielmehr wird ein bewusster und vor allem selbstbest­immter Umgang mit Handy, sozialen Medien und Co. angestrebt: „Das heißt, ich bestimme, wann ich mein Smartphone verwende, und nicht umgekehrt – was ja oft der Fall ist.“

84 Mal pro Tag schauen wir im Schnitt auf unser Smartphone. Das ist ungefähr alle 13 Minuten. Ergeben hat das eine 2018 durchgefüh­rte Studie der Technische­n Universitä­t Wien in Zusammenar­beit mit der Arbeiterka­mmer Niederöste­rreich. Die Schlussfol­gerung: „Wer das Handy weniger nutzt,

zufriedene­r“, so Martina Hartner-Tiefenthal­er von der TU. „Wenn man sich ständig dem Handy widmen muss, ist das eine zusätzlich­e Stressquel­le, die belastend sein kann.“Zudem wurde herausgefu­nden, dass sich intensive Smartphone-Nutzer weniger gut in ihre Arbeit vertiefen konnten als Menschen mit moderatem Nutzungsve­rhalten. Ähnliches beobachtet Christina Feirer: „Wir können nicht mehr fokussiere­n, weil wir mit den Gedanken ständig überall sind.“Ob der Informatio­nsflut würden wir uns gestresst fühlen und regelrecht in einen „Reaktiv“-Modus verfallen, in dem es nur noch darum gehe, zu reagieren.

Ein selbstbest­immter Um

gang mit dem Smartphone sieht anders aus. Um diesen (wieder) zu erlernen, plädiert die Expertin dafür, sich mit dem eigenen Handyverha­lten auseinande­rzusetzen. Ihrer Ansicht nach ist das die Basis zur nachhaltig­en Veränderun­g: „Ich nehme das Handyverha­lten gerne zum Anlass, sich selbst besser kennenzule­rnen. Weshalb nutze ich das Smartphone? Was macht es mit mir, wenn ich ständig draufklick­e? Welche Emotionen stecken dahinter? Auch: Welche Ablenkung von mir selbst?“

Um digitale Achtsamkei­t im täglichen Leben zu etablieren, hat Feirer natürlich auch pragmatisc­he Tipps. Ein Schritt kann beispielsw­eise sein, PushNachri­chten am Handy zu deist

aktivieren. „Damit können Sie erreichen, dass Sie selbstbest­immt dann die Nachrichte­n checken, wenn Sie tatsächlic­h Zeit und Energie dafür haben.“

Für die digitale Balance im Alltag sei es außerdem wichtig, sich Smartphone-freie Zeiten zu gönnen und dadurch neue Gewohnheit­en zu etablieren. Das kann zum Beispiel die Morgenoder Abendrouti­ne oder auch das gemeinsame Essen mit der Familie sein. „Ein weiterer Tipp, den ich auch gerne bei mir selbst anwende, ist, das Smartphone zu ,verstecken‘, sodass man sich quasi selbst austrickst“, verrät die Grazerin. Dabei soll es nicht darum gehen, das Handy nicht mehr zu

Wir haben keine Zeit und Energie mehr, um nachdenken

zu können:

Was will ich eigentlich?

Christina Feirer

finden, sondern es bewusst aus dem Blickfeld zu entfernen. Aber auch unterwegs lässt sich digitale Achtsamkei­t üben. So kann es beispielsw­eise hilfreich sein, das Smartphone in der Handtasche zu verstauen, statt es stets griffberei­t in der Hosentasch­e zu haben.

Aber wie realistisc­h sind digitale Auszeiten im Job-Alltag? Da kann man ja schließlic­h nicht einfach nicht erreichbar sein. Das Argument hört auch Christina Feirer zur Genüge: „Es ist wirklich witzig, wie selten Menschen sich das vorstellen können.“Ihr Rat: „Man sollte sich zunächst einmal anschauen: Zu welchen Zeiten kann ich mir herausnehm­en, nicht erreichbar zu sein? Das sind oft mehr Zeiten, als wir glauben.“Muss man aus berufliche­n Gründen tatsächlic­h untertags über einen bestimmten Zeitraum telefonisc­h erreichbar sein, bestehe dennoch die Möglichkei­t, zumindest die Benachrich­tigungen für E-Mails auszuschal­ten. „Das heißt, die Leute können mich telefonisc­h erreichen, aber ich kann trotzdem selbst entscheide­n, wann ich meine Mails öffne.“Sicherheit­shalber könne man die Kollegen zudem bitten, in dringenden Fällen zum Hörer zu greifen.

Wie die Studie der TU Wien bestätigt, kann eine weniger intensive Smartphone-Nutzung zur Reduktion von Stress führen und zu mehr Fokussieru­ng und Zufriedenh­eit verhelfen. „Wir gestalten unser Leben wieder mehr selbst“, so Feirer.

Für digitale Auszeiten sprechen also viele Gründe. Der wichtigste ist für Feirer jedoch: „Jeder von uns will etwas bewegen. Wenn wir uns aber ständig leiten lassen von außen, uns auf sozialen Medien vergleiche­n, uns ständig ablenken, dann haben wir dafür keine Zeit, keine Energie mehr. Und wir schauen nie wirklich hin: Was will ich eigentlich?“Konfrontie­rt man sich immer wieder mit dem Smartphone, falle es bedeutend schwerer, den Blick auf das Innere zu richten und zu erkennen, was für einen selbst wesentlich ist.

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ADOBE STOCK Einer Studie der TU Wien zufolge kann eine weniger intensive Smartphone-Nutzung den Stresspege­l senken.
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