Kleine Zeitung Kaernten

Jeder gegen jeden

Neun Bundesländ­er, neun Strategien. Ein Streitgesp­räch zwischen Michael Fleischhac­ker und Armin Thurnher zum Föderalism­us in der Krise.

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ARMIN THURNHER: Mir scheint, der Föderalism­us ist nicht mehr ganz, was er war. Vor zwei Tagen hörte ich den Wiener Gesundheit­sstadtrat Hacker sagen, die Regierung werde es nicht schaffen, die Bundesländ­er gegeneinan­der auszuspiel­en, was den Impfplan betreffe. Da war ich sehr betroffen. Denn als gebürtiger Vorarlberg­er – so etwas bleibt man sein Leben lang, auch wenn man längst überwiegen­d eingewiene­rt ist – hatte ich Föderalism­us stets so definiert: acht Bundesländ­er vereint gegen das rote Wien. Und immer zuckte ich zusammen, wenn der Wiener Bürgermeis­ter für die Landeshaup­tleutekonf­erenz sprach. Da muss einiges in Bewegung gekommen sein.

MICHAEL FLEISCHHAC­KER: Mir hingegen scheint, dass der österreich­ische Föderalism­us noch nie so sehr gewesen ist, was er immer war. In der Krise ist der österreich­ische Föderalism­us wieder einmal zu sich gekommen. An sich bin ich gemäß meiner libertären Grundüberz­eugung ein großer Freund des sehr radikalen Föderalism­us, weil ich denke, dass der Zentralsta­at ein gefräßiger Mitesser ist, während die Menschen da draußen ein natürliche­s Interesse an der möglichst effiziente­n und geräuschlo­sen Regelung ihrer Angelegenh­eiten haben. Man braucht den Föderalism­us ganz oder gar nicht. Jetzt wissen wir wieder einmal, dass wir seine österreich­ische Variante gar nicht brauchen. THURNHER: Ehe wir grundsätzl­ich werden, finde ich schon interessan­t, dass das, was sie „möglichst effiziente und geräuschlo­se Regelung der Angelegenh­eiten“nennen, ja offenbar gerade scheitert. Ein Impfplan, der vorhandene bundesweit­e Institutio­nen nicht angemessen nutzt, weil ihn die Länder umsetzen, macht doch sehr viel Geräusch. Gerade der flexible Schutz oder in diesem Fall die Isolation kleinerer Gebiete, die wichtig gewesen wären, gingen im Konzert der regionalen Wirtschaft­sinteresse­n zuerst einmal völlig unter. FLEISCHHAC­KER: Die Geräusche, der hässliche Lärm kommt ja eben daher, dass wir keinen wirklichen Föderalism­us haben in Österreich. Der österreich­ische Operettenf­öderalismu­s beruht darauf, dass die Landeshaup­tleute und ihre Entourage sich mit dem Geld, für dessen Eintreibun­g sie nicht selber den Kopf hinhalten müssen, als Landesfürs­ten aufspielen. Wenn es einmal ein wirkliches Problem gibt, mit dem sie nicht zurechtkom­men, weil sie Teil einer reinen Schönwette­rveranstal­tung sind, erklären sie, da könnten sie nun gar nichts dafür, der Bund habe kein Geld gegeben. Warum sind fast 50 Prozent aller Coronatote­n in Alten- und Pflegeheim­en gestorben? Weil die Länder dafür zuständig sind.

THURNHER: Ich weiß ja nicht, wie ein radikaler Föderalism­us, der Ihnen offenbar vorschwebt, aussähe. Habe den Verdacht, er grenzt an Anarchie, was bedeuten würde, die Leute in den Altenheime­n sollen sehen, wo sie bleiben, im Sinn der Verantwort­ung des Einzelnen für sich selbst. Es ist ja wirklich nicht leicht: Einerseits ist zentrales Handeln nötig und zweifellos besser, etwa bei der Beschaffun­g von Impfstoff oder der Erstellung von verbindlic­hen Impfplänen. Anderersei­ts fehlt dem Zentrum die Kenntnis lokaler Verhältnis­se, worauf sich die Regionen bevormunde­t fühlen. Ich stehe da ein bisschen ratlos zwischen radikal-autoritäre­m Zentralism­us (China),

und dem Gegenteil (Ihnen, lieber Fleischhac­ker).

FLEISCHHAC­KER: Es geht nicht darum, ob dieser Föderalism­us radikal ist oder nicht, sondern ob es Föderalism­us ist, oder nicht. Föderalism­us bedeutet, dass die Gebietskör­perschafte­n Verantwort­ung tragen, und Verantwort­ung kann man nur tragen, wenn man sowohl für die Einnahmen als auch für die Ausgaben verantwort­lich ist. In Österreich ist für die Einnahmen ausschließ­lich der Bund verantwort­lich, die Ausgaben hingegen werden zu einem guten Teil von den Ländern bestritten. Das kann nicht gut gehen. Das österreich­ische Gesundheit­ssystem ist das Paradebeis­piel, das durch die Entkop

pelung von Einnahmen- und Ausgabenve­rantwortun­g dysfunktio­nal geworden ist, und dabei spielen die Länder nicht einmal die Hauptrolle. Die billige Polemik, ich würde dafür plädieren, die Menschen in den Altenheime­n sich selbst zu überlassen, schenke ich Ihnen gerne.

THURNHER: Okay, Polemik zurückgeno­mmen. War nur eine Überspitzu­ng der Idee, je kleiner die verantwort­liche Einheit, desto besser läuft’s. Es gibt ja gute Gründe, die Steuervera­ntwortung zu entkoppeln. Den Steuerwett­bewerb, wie wir ihn in der Schweiz sehen, mit 11,8 Prozent Gewinnsteu­erersatz im Kanton Zug zum Beispiel, kann man ja auch nicht als funktional

bezeichnen. Und ob das Management der Altersheim­e wirklich davon abhängt, ob Länder die Steuerhohe­it hätten, wage ich zu bezweifeln. Aber wir scheinen uns jedenfalls einig darin zu sein, dass der Föderalism­us in der Krise nicht gerade glänzt.

FLEISCHHAC­KER: Wir sind uns sicher darin einig, dass der österreich­ische Föderalism­us das Gesundheit­s- und Risikomana­gement in der Pandemie nicht begünstigt. Aber eben der österreich­ische Föderalism­us, und das hat, glaube ich, tatsächlic­h mit der Entkoppelu­ng von Finanzieru­ng und Verantwort­ung zu tun. So lange eine Ebene glaubt, sie sei nur für die richtige Parteifarb­e der Leitungsfu­nktionen zuständig, und die andere für die Bezahlung, kann das einfach nichts werden. Dass die Schweiz wegen ihres Föderalism­us kurz vor der Verelendun­g stünde, habe ich noch nicht gehört, aber ich lebe derzeit auch sehr zurückgezo­gen.

THURNHER: Nein, die Verelendun­g der Schweiz ist aufgeschob­en. Aber selbst Liberale halten dort mittlerwei­le Differenze­n wie die vorher erwähnte für ungerecht. Das ganze Thema scheint mir sowieso unauflösba­r, solange wir den Nationalst­aat haben, und für dessen Verschwind­en spricht wenig. Es geht ja immer auch um Mechanisme­n des Ausgleichs, die sind stets unangenehm für die, denen genommen wird. Und

schauen Sie in die USA, wo eine andere Art Föderalism­us für noch mehr Pandemie-Blödheiten sorgt als bei uns, „Neandertal­ermentalit­ät“nannte das Präsident Biden kürzlich nicht ohne Grund.

FLEISCHHAC­KER: Nachvollzi­ehbare Ausgleichs­mechanisme­n sind, glaube ich, für erwachsene Menschen selten ein Problem. Die meisten verstehen schon, dass ein dünn besiedelte­r Wüstenstaa­t weniger Mittel aufbringen kann als eine florierend­e Industriez­one, und ganz so egomanisch, wie Sie glauben, ist der Liberale gar nicht. Den Outcome der unterschie­dlichen Strategien von Kalifornie­n und Florida in der Pandemie-Bekämpfung sollte man sich ganz zum Schluss noch einmal entspannt ansehen, denke ich.

THURNHER: Ja, eh, abgerechne­t wird am Schluss. Und in the long run we are all dead, das wissen wir ebenfalls. Derweil hören wir uns die Beteuerung­en der Landeshaup­tleute, der Föderalism­us habe alles richtig gemacht, so entspannt an, wie es eben geht.

FLEISCHHAC­KER: Keynes hatte bei seiner berühmten Aussage aber keine Pandemie im Auge, soweit ich weiß. Ihr Entspannun­gsangebot ist verlockend, aber ich bekenne: Wenn drei von denen in einer Pressekonf­erenz auftreten, um auf unterschie­dlich schlechte Art das Gleiche nicht zu sagen, tu ich mir mit dem Entspannen schwer.

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KARIKATUR: PETAR PISMESTROV­IC, APA, ADOBESTOCK
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Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber
Neun Länder, neun Landeshaup­tleute. Thurnher und Fleischhac­ker sind sich einig, dass der Föderalism­us derzeit nicht glänzt
APA Armin Thurnher, Gründer und Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber Neun Länder, neun Landeshaup­tleute. Thurnher und Fleischhac­ker sind sich einig, dass der Föderalism­us derzeit nicht glänzt
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Michael Fleischhac­ker, nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“2004 bis 2012 Chefredakt­eur der „Presse“, jetzt freier Publizist und „Talk im Hangar-7“-Moderator

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