Kleine Zeitung Kaernten

Rufmord an uns selbst

Nach dem Einbruch in den Umfragen im Nachhall des Öbag-Postenscha­chers geschieht Unerwartet­es: die (leider fiktive) Entschuldi­gungsrede von Kanzler Sebastian Kurz.

- Hubert Patterer

Liebe Bürger. Ich tue, was mir meine Berater befahlen, nie zu tun, und sei die Bedrängnis noch so groß: Ich entschuldi­ge mich. Ich bedaure das verheerend­e Bild, das sich Ihnen durch die öffentlich gemachten Kurznachri­chten meines Umfelds rund um die Bestellung des Chefposten­s der Verstaatli­chten-Holding dargeboten hat; mit meiner Billigung und meinem Zutun. „Vollgas“, für die Anfeuerung zum fiskalisch­en Revanchefo­ul an der Kirche schäme ich mich, nicht nur, weil ich mit dem Kardinal gut bin. Ich wähle die Worte Merkels: Ich nehme die Verantwort­ung auf mich. Im ersten Reflex haben wir uns gerechtfer­tigt, wie wir es gelernt und verinnerli­cht haben: den Lichtkegel auf ein anderes Thema schwenken, rasch eine andere Wirklichke­it konstruier­en, die sich über die widrige stülpt, Bigger News sagen wir dazu. So entstand die Sputnik-Idee.

Dann einigten wir uns auf die Formel, wie sie zuletzt der Finanzmini­ster im Fernsehen gebrauchte: dass „manche irritiert sein könnten“; dass die Bürger wüssten, dass privat ins Handy Getipptes nichts in der Öffentlich­keit zu suchen habe, und

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wenn es passiere, nur zu Verwerfung­en führe. Jedem sei schon Ähnliches widerfahre­n. So wollten wir das Ungemach mit den Alltagserf­ahrungen der Bürger verknüpfen und zu einer lässlichen Unpässlich­keit herabstufe­n. Das war unredlich. Auch ohne „ins Feld zu gehen“, wie ich zu sagen pflege, ohne es abfragen zu lassen, weiß ich: Es sind nicht „manche“. Es sind viele, auch viele, die uns gewählt haben, im Glauben, wir stünden für eine andere Politik. Der Kontinuitä­tsbruch war meine Erzählung. Ich räume es ein: Es war Rufmord an uns selbst, den wir in der Annahme, unter uns zu sein, begangen haben.

E s war auch keine „Irritation“. Sie sind nicht irritiert. Sie sind erzürnt, und Sie sind es aus gutem Grund. Man wählt nicht den Tonfall des Schulhofs, wenn es um hohe Aufgaben der Republik geht, hier: um das Amt eines Treuhänder­s der Steuerzahl­er. Das sind keine Tschicks, die man da einander unter Burschen zuschanzt. Aber so müssen für Sie die SMS geklungen haben. Mich beschämt auch der Begriff der „Familie“, den wir auf uns, den inneren Kreis, übertrugen. Es gibt eine Familie daheim, und es gibt eine Familie, die in Kalabrien so heißt. Beide Anklänge verbieten sich, ich lasse sie mir von meinem früheren Innenminis­ter, den die Hofburg und ich nie hätten zulassen dürfen, nicht umhängen. Dass ich Thomas Schmid für befähigt halte, bekräftige ich, Nähe und Eignung sind kein Skandal. Schmid ist kein Sidlo. Ich will auch nicht auf andere zeigen, nur weil sie Besetzunge­n nicht im Chatroom, sondern im Fichtenhol­zSeparee aushandelt­en. Die Heuchelei meiner früheren Bündnispar­tner, der SPÖ und FPÖ, ist unerträgli­ch, aber der Fingerzeig rechtferti­gt nicht die eigene Würdelosig­keit. Das ist mir bewusst. Ich würde mich damit einreihen in etwas, was ich stets beteuerte nicht zu sein: Altpartei. Daher entziehe ich mich den Vorgaben meiner Berater, verlasse das Drehbuch und bitte um Verzeihung.

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