In heiligem Zorn
Theologe und Psychotherapeut ass die Bibel paradiesische Zustände beschreibt, verwundert keinen, der sie kennt; ihren Traum von einem Land des Friedens und des Wohlergehens beflügelt auch die zum Sprichwort gewordene „Goldene Regel“: „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu!“Die Bibel (zu) schnell gelesen könnte den Eindruck erwecken, sie bestünde nur aus solchen Sätzen. Wer sie aber gründlicher studiert, merkt bald, dass auch die biblischen Zeiten keine goldenen waren. Die „gute alte Zeit“ist das Produkt unserer Vergesslichkeit!
Wenn etwa die Apostelgeschichte die Glaubendgewordenen „in Herz und Leben eins“schildert, zögert sie dabei nicht, wenige Sätze später von Hananias und Saphira zu erzählen. Die beiden verkaufen einen Acker und tun so, als stellten sie alles dem Gemeinwohl zur Verfügung; tatsächlich aber behalten sie einen großen Teil für sich zurück. Petrus durchschaut das verlogene Spiel vorgetäuschter Großzügigkeit und stellt Hananias zur Rede; dieser erschrickt darüber, fällt um und stirbt. Weil auch dem biblischen Menschen die Versuchung,
DWasser zu predigen und Wein zu trinken, nicht fremd ist, redet die Bibel gegen jede Art von Doppelmoral unmissverständlich an! Und wenn zurzeit viele Menschen wie zum Beispiel gerade in Köln „aus Treue zum Evangelium“in Scharen die Kirche verlassen, wissen sie sich durch solche Bibelstellen dazu ermutigt. Kirchengeschichte ist immer auch Kriminalgeschichte! Verständnisvoll und beinahe entschuldigend merkt dazu Alois Brandstetter in einer seiner Satiren an, dass aus der Gegenwart einer Nonne noch nicht auf die Gegenwart Gottes geschlossen werden dürfe und dass viele Mönche nicht so sehr auf Gott, vielmehr auf ein nahe gelegenes Kloster verweisen. Dann aber notiert er in heiligem Zorn: „Wenn ich im Fernsehen unseren Nuntius, den Doyen des Diplomatischen Chores (sic!), beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten sehe, den Stellvertreter des Stellvertreters Christi auf Erden in Österreich, dann spüre ich auch nicht mehr viel vom urchristlichen Kommunismus. Es ist bei vielen wie ein bedingter Reflex: Sie sehen Purpur und werden rot vor Zorn.“
11. APRIL 2021