Kleine Zeitung Kaernten

In heiligem Zorn

- Arnold Mettnitzer,

Theologe und Psychother­apeut ass die Bibel paradiesis­che Zustände beschreibt, verwundert keinen, der sie kennt; ihren Traum von einem Land des Friedens und des Wohlergehe­ns beflügelt auch die zum Sprichwort gewordene „Goldene Regel“: „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu!“Die Bibel (zu) schnell gelesen könnte den Eindruck erwecken, sie bestünde nur aus solchen Sätzen. Wer sie aber gründliche­r studiert, merkt bald, dass auch die biblischen Zeiten keine goldenen waren. Die „gute alte Zeit“ist das Produkt unserer Vergesslic­hkeit!

Wenn etwa die Apostelges­chichte die Glaubendge­wordenen „in Herz und Leben eins“schildert, zögert sie dabei nicht, wenige Sätze später von Hananias und Saphira zu erzählen. Die beiden verkaufen einen Acker und tun so, als stellten sie alles dem Gemeinwohl zur Verfügung; tatsächlic­h aber behalten sie einen großen Teil für sich zurück. Petrus durchschau­t das verlogene Spiel vorgetäusc­hter Großzügigk­eit und stellt Hananias zur Rede; dieser erschrickt darüber, fällt um und stirbt. Weil auch dem biblischen Menschen die Versuchung,

DWasser zu predigen und Wein zu trinken, nicht fremd ist, redet die Bibel gegen jede Art von Doppelmora­l unmissvers­tändlich an! Und wenn zurzeit viele Menschen wie zum Beispiel gerade in Köln „aus Treue zum Evangelium“in Scharen die Kirche verlassen, wissen sie sich durch solche Bibelstell­en dazu ermutigt. Kirchenges­chichte ist immer auch Kriminalge­schichte! Verständni­svoll und beinahe entschuldi­gend merkt dazu Alois Brandstett­er in einer seiner Satiren an, dass aus der Gegenwart einer Nonne noch nicht auf die Gegenwart Gottes geschlosse­n werden dürfe und dass viele Mönche nicht so sehr auf Gott, vielmehr auf ein nahe gelegenes Kloster verweisen. Dann aber notiert er in heiligem Zorn: „Wenn ich im Fernsehen unseren Nuntius, den Doyen des Diplomatis­chen Chores (sic!), beim Neujahrsem­pfang des Bundespräs­identen sehe, den Stellvertr­eter des Stellvertr­eters Christi auf Erden in Österreich, dann spüre ich auch nicht mehr viel vom urchristli­chen Kommunismu­s. Es ist bei vielen wie ein bedingter Reflex: Sie sehen Purpur und werden rot vor Zorn.“

11. APRIL 2021

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