„Keine Koalition mit Kickl“
Andreas Khol feiert heute seinen 80. Geburtstag – und spricht sich gegen eine Koalition mit der Kickl-FPÖ aus.
Sie haben vorab gemeint, Sie würden gern über den Zeitgeist reden. Das klingt so, als ob die Welt verlottert ist.
ANDREAS KHOL: Der Zeitgeist ist unglaublich einseitig. Auf der einen Seite das Diktat des Umweltschutzes, auf der anderen Seite gibt es europaweit eine „Baisse“für den Sozialismus und eine diffuse „Hausse“für alles, was rechts der Mitte ist. Das ist eine völlig neue Zeitgeist-Mischung.
Sie müssten zufrieden sein.
Ich bin europaweit mit den Entwicklungen weitgehend zufrieden. Ich sehe im vereinten Europa mein wichtigstes politisches Ziel. Ich werde den europäischen Bundesstaat allerdings nicht mehr erleben.
Ist die Entwicklung zum Bundesstaat unumkehrbar?
Ja, unumkehrbar. Wir sind jetzt schon auf halbem Weg dorthin.
Ist Orbán auf dem richtigen Weg?
Nein, er ist am Holzweg. Orbán ist kein Konservativer mehr, sondern ein Reaktionär. Allen Ländern, die bis 1989 vom Sowjet-Sozialismus unterjocht waren, ist es schwergefallen, die Souveränität, die sie zurückgewonnen haben, mit dem Beitritt schrittweise zu opfern.
Verrät die ÖVP in der Flüchtlingsfrage nicht ihre christlich-sozialen Wurzeln?
Das glaube ich nicht. Die Volkspartei ist eine säkulare Partei, ihre Programmatik entstammt nicht aus dem Evangelium, sondern aus dem Beschluss des Parteitags. In der Flüchtlingsfrage hat der Politiker eine Verantwortung für die eigenen Leute, für die, die vom Ausland gekommen sind und integriert werden müssen, und für jene, die hereinkommen wollen. Die ÖVP geht einen Mittelweg, der in den Rahmen der christlichen Soziallehre hineinpasst.
Dass Lehrlinge abgeschoben werden, bevor die Ausbildung abgeschlossen ist?
dem Thema hat sich mit dem humanitären Bleiberecht eine kaum bemerkte Änderung der Politik ergeben. Wenn du fünf Jahre hier bist, integriert bist, kriegst du das Bleiberecht. Man wird nur abgeschoben, wenn man illegal hier ist.
Sind Sie ein Schwarzer oder ein Türkiser?
Ich betrachte das als Altersfrage. Die Jungen sind alle türkis, die Älteren sind schwarz geboren und die meisten sind schwarz geblieben.
Wie sehr haben diese Chats wehgetan? Der Vollgas-Sager des Kanzlers?
Das ist der Einzige, der mir wehgetan hat.
Entlarven die Chats nicht eine gewisse Skrupellosigkeit, etwa bei Personalbestellungen?
In meiner Zeit als Klubobmann waren politische Postenbesetzungen wesentlich häufiger. Da wurde ständig über Sektionschefs und Botschafter gestritten. Das ging bis zu den Schuldirektoren. Heute sind die Schuldirektoren weitestgehend „unpolitisiert“. Das hat Bundespräsident Fischer durchgesetzt. Es ist weniger geworden, es will nur niemand hören.
Und der Umgangston?
Glauben Sie, dass die Politiker braver geworden sind? Mein Gott, wie oft bin ich dabei gewesen und habe selbst harte Urteile gefällt, die nie für die Öffentlichkeit bestimmt waren! In unserer digitalisierten Welt gibt es einen Nachholbedarf. Für den Nationalrat gelten keine GrenBei zen. Wir sind im Persönlichkeitsschutz auf den Stand vor der Französischen Revolution zurückgefallen. Wir haben die Inquisition.
Hat sich die FPÖ mit Herbert Kickl ins Aus als möglicher Koalitionspartner manövriert?
Ich war ein leidenschaftlicher Vertreter der bürgerlichen Zusammenarbeit. Ich fand, dass Sebastian Kurz richtiggelegen ist, als er mit Strache die Koalition einging. Ich bin inzwischen anderer Meinung. Die KicklFPÖ ist im Ton, in der Aggressivität, in der Europa-Feindlichkeit massiv eine andere als die von Norbert Hofer. Bevor diese ideologische Klärung auf einen vertretbaren Rechtskurs, nicht rassistisch, nicht antisemitisch, nicht antieuropäisch, nicht auf Verschwörungstheorien basierend, nicht geklärt ist, braucht man nicht mehr reden. Das dauert eine lange Zeit. Es ist nicht nur Kickls Ton. Hören Sie sich die Reden von Berlakovich und Hafenecker an! Ich war früher ein leidenschaftlicher Befürworter und bin jetzt ein leidenschaftlicher Gegner.
Und sind jetzt ein leidenschaftlicher Befürworter von TürkisGrün?
Leidenschaftlich nicht, sondern vernunftgeleitet. Ich sehe keine Alternative. Ich glaube, das Experiment ist sehr interessant und gut, aber schwierig.
Wie lange wird es halten?
Ich glaube nicht, dass diese Koalition vorzeitig enden wird. Wir sind mittendrin in der Gestaltung der Politik zur Erreichung der Klimaziele. Die Klimaziele sind von der ÖVP akzeptiert. Ob der Lobautunnel gebaut wird oder nicht, ist eine politische Frage.
Das heißt, der Lobautunnel soll nicht gebaut werden?
Die Regierung muss entscheiden, wie sie die Klimaziele erreichen will, auf welche Maßnahmen sie setzen will, auf welche Projekte sie verzichten will. Ich habe für Gewesslers Evaluierung Verständnis, aber die Entscheidung muss politisch gefällt werden.
Soll die ÖVP niemanden gegen Van der Bellen aufstellen?
Die Partei braucht meine Ratschläge nicht, aber die Partei hat Erfahrungen gemacht. Als Heinz Fischer zur Wiederwahl antrat, gab es keinen Gegenkandidaten. Die Erfahrungen waren gut.