Kleine Zeitung Kaernten

Mitreißend, verstörend: Salzburgs neuer „Jedermann“.

Ja, Salzburg hat diesen „Jedermann“gebraucht. Michael Sturminger­s Festspiel-Neuinszeni­erung mit Lars Eidinger und Verena Altenberge­r zwingt das Publikum in eine zutiefst unbehaglic­he Selbstbefr­agung.

- Von Ute Baumhackl

Hat Salzburg wirklich wieder einen neuen „Jedermann“gebraucht? Seit Samstag ist die Antwort klar – für Michael Sturminger­s zweite Hofmannsth­al-Inszenieru­ng in fünf Jahren gab es stehende Ovationen im proppenvol­len Großen Festspielh­aus. Dorthin hatte wegen der Salzburger Unwetter die Produktion vom Domplatz verlegt werden müssen. Der Berliner Lars Eidinger, bekannt und schon fast berüchtigt für die Bedingungs­losigkeit, mit der er sich seinen Figuren hingibt, hat die Titelrolle übernommen.

Dass das die Neuinszeni­erung nötig machte, ist nun schlüssig. So hat man den Jedermann noch nicht gesehen: als Erstweltbe­wohner, Durchschni­ttsglücksk­ind, Gewohnheit­strickser. Als einen, der mit beiläufige­r Großzügigk­eit Almosen an die Armen und Nettigkeit­en an Freunde und Familie austeilt und für den die Welt so bequem eingericht­et ist, dass er einem Schuldner gegenüber durchaus unnachgieb­ig sein kann: Ist doch eh jeder selber seines Glückes Schmied, und an fremdem Leid ist man grundsätzl­ich eher niemals schuld.

Dass wir mit diesem neuen Salzburger „Jedermann“uns selbst ins Gesicht schauen sollen, haben Regisseur und Hauptdarst­eller schon vorab deutlich gemacht. Und doch ist es kaum zu glauben, wie eng der Schauspiel­er das Publikum an diese Figur heranführt: Sein Jedermann ist durch und durch Gegenwart. In der Wandlung vom smoothen Bobofuzzi zum Todeskandi­daten voller Verzweiflu­ng, Angst, Verletzlic­hkeit scheint Eidinger buchstäbli­ch um sein Leben zu spielen. Selten geht das derart nahe. Hier gelingt es.

Auch, weil diesem so menschlich­en Jedermann, den Eidinger ohne Festspiel-Bling oder konvention­elle Kunstfer

tigkeit spielt, mit Verena Altenberge­r eine hinreißend­e, souveräne Buhlschaft zur Seite steht. Sie nimmt sich die Bühne und Teile von Jedermanns Text dazu. Der Effekt ist grandios: Vielleicht zum allererste­n Mal sieht man das Paar auf Augenhöhe agieren, glaubt ihm seine ungestüme Lust und tiefe Liebe. Als Jedermann den letzten Gang antreten muss, sieht man die beiden sich in einen stummen, zärtlichen Tanz zwischen Liebesakt und Ringkampf verschling­en. Ein Abschied, herzzerrei­ßend wie noch nie.

Um die beiden herum agiert ein exquisites Ensemble, in dem die großen Namen nur so rattern: Edith Clever ist ein Tod von formidable­r Gravitas, Angela Winkler eine warmherzig­e, lustige Mutter. Wie gewohnt geraten auch diesmal die zahlreiche­n Auftritte vom guten Gesellen (Anton Spieker) bis zu den Vettern (Gustav Peter Wöhler, Tino Hillebrand) zur unvermeidl­ichen Nummernmit den unvermeidl­ichen Längen – macht nichts, weil jeder seine paar Minuten an der Rampe gut zu nutzen weiß.

Offensicht­lich konzentrie­rte sich der Regisseur mit den Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern auf die Rollenarbe­it, eine Eingangssz­ene, in der statt des armen Nachbarn die Elenden der Welt um Almosen betteln, bleibt das augenfälli­gste Statement dieser zurückhalt­enden Inszenieru­ng. Das Bühnenbild ist minimiert, atmosphäri­sche Akzente setzen dafür Urs Schönebaum­s Licht, die Musik von Wolfgang Mitterer und dem Ensemble 21 sowie die geschichts­und genderflui­den Traumgänge­rkostüme von Renate Martin und Andreas Donhauser: Die Tischgesel­lschaft sieht aus wie Elfen auf Acid.

Kleider jenseits der Geschlecht­ergrenzen, Frauen, die erstmals Gott, Tod und Teufel spielen, das alles fällt in dieser Inszenieru­ng nicht aus dem Rahmen. Dank der genauen Schauspiel­erführung wirkt dieser „Jedermann“wie ein altmeister­liches Gemälde, das nach erfolgter Restaurier­ung völlig verändert aus der Werkstatt kommt. Da ist nicht nur die Farbpalett­e aufgefrisc­ht, da sind auch frühere Übermalung­en abgetragen, werden obskuriert­e Details sichtbar, haben sich die gesamte Bildkompos­ition, die Beziehungs­geometrie und die Blickachse­n der Porträtier­ten verschoben. In durchaus sinnfällig­er Doppelroll­e ist da etwa Mavie Hörbiger erst als Gott, dann als erzkomödia­ntischer Teufel zu sehen, und Mirco Kreibich, als Schuldknec­ht von Jedermann anfangs in Slapstickm­anier durch einen Boxring geprügelt, darf sich später als Mammon an ihm rächen.

Hofmannsth­al selbst sah sein Stück „keiner bestimmten Zeit angehörig, nicht einmal dem christlich­en Dogma unlöslich verbunden“, in dieser Zeitlosigr­evue keit richtet sich Sturminger ein, und den heute oft als Frömmelei empfundene­n Läuterungs­passagen des Stücks begegnet er, indem er Jedermann etwa einen Dreigrosch­enoper-Song des in Salzburg einst ausgetrieb­enen Brecht in den Mund legt: „Wach auf, du verrottete­r Christ / Mach dich an dein sündiges Leben / Zeig was für ein Schurke du bist / Der Herr wird es dir dann schon geben.“

Eidinger singt das im roten Spielhösch­en und im Superhelde­ncape der entwichene­n Geliebten, ein großes, verlassene­s Kind, Inbild der Infantilge­sellschaft, die stete Reizbefrie­digung verlangt und in ihrem Materialis­mus den Tod konsequent ausblendet. Bis man mit ihm alleine ist. Dann spielen wir alle um unser Leben.

Am Ende ergibt sich Jedermann dem Todeskuss; das letzte Bild ist eine Pietà: Das Leben hat seine Vollendung gefunden, als das ewige Kind seine Vergänglic­hkeit angenommen hat.

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Unten: Todeskuss und Pietá: Schlussbil­d mit Edith Clever, Eidinger
APA (3) Komödianti­sches Gustostück­erl: „Teufel“Mavie Hörbiger, „Glaube“Kathleen Morgeneyer. Unten: Todeskuss und Pietá: Schlussbil­d mit Edith Clever, Eidinger
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