Auf Mykonos ist die Party vorbei. Der Vormarsch von Delta lässt die Regierung in Athen die Notbremse ziehen.
Die vierte Coronawelle trifft Griechenland mit voller Wucht. Für die für ihre ausgelassenen Feiern bekannte Insel Mykonos und die dort gerade Urlaubenden hat das nun drastische Folgen.
Die Kykladeninsel Sikinos – rau, bergig, mit drei Orten und alles zusammen 260 Einwohnern – bietet alles, was das Herz des Griechenlandurlaubers begehrt: schöne Sandstrände, ein kristallklares Meer, absolute Sonnengarantie. Was Sikinos nicht bietet, sind laute Musik, wilde Partys. Die Insel hat keine einzige Beach-Bar, keine Disco, keinen Nachtklub.
Christos Marakis hat damit kein Problem. Im Gegenteil. Der 38-Jährige betreibt im Hauptort Chora mit seinen für die Kykladen so typisch mit weißem Kalk gestrichenen Häusern am Hauptplatz das Café „Plateia“„Ich habe das Café am 12. Juli 2019 eröffnet. Damals konnte keiner ahnen, was folgen würde“, sagt Marakis. „Der erste Sommer war für mich sehr gut, der letzte Sommer war nicht einfach. Natürlich wegen Corona. Jetzt läuft es wieder“, fügt er lächelnd hinzu.
Die Tische vor dem „Plateia“sind an diesem lauen Samstagabend Mitte Juli voll besetzt. Franzosen, Spanier, Deutsche, Griechen. Familien mit Kindern, junge Pärchen, Einzelreisende. Besitzer Marakis eilt ins Innere seines Cafés, um noch neue Tische auf den Platz zu bringen, damit überhaupt alle Gäste einen Platz finden.
Sikinos liegt fernab vom Massentourismus. Doch genau das macht die kleine Insel nun im zweiten Coronasommer für bewussten Urlauber so attraktiv. Sikinos boomt, für seine Verhältnisse. „Sikinos ist ausgebucht. Bis Ende August wird man hier kaum ein Zimmer finden. Für uns Bewohner, die hier das ganze Jahr leben, ist das sehr wichtig. In diesen 45 Tagen ab Mitte Juli verdienen wir das Geld, um den Winter hier überstehen zu können. In Athen gibt es keine Jobs, die Arbeitslosigkeit dort ist sehr hoch. Gott sei Dank schätzen uns unsere Gäste. Die meisten kommen immer wieder. Das ist besonders in diesen Zeiten für uns eine enorme Hilfe, auch psychologisch.“
Keine fünfzig Seemeilen weiter nordöstlich auf Mykonos, Griechenlands ultimativer Partyinsel, könnte der Kontrast nicht größer sein. Die Wut, gar Empörung unter allen, die im Tourismus auf der Insel ihr Geld verdienen, ist seit Samstag riesengroß. Der Grund: Die griechische Regierung ordnete mit sofortiger Wirkung eine nächtliche Ausgangssperre von ein bis sechs Uhr früh an. Ferner herrscht ein Tanz- und Musikverbot. Gültigkeit: bis zum 26. Juli. Mindestens.
Die Einhaltung des Lockdowns soll scharf kontrolliert werden. Die Athener Polizeidirektion hat zusätzlich
Polizisten der Spezialeinheit „Opke“nach Mykonos abkommandiert. Auch Drohnen werden zum Einsatz kommen, um Geheimpartys an Land und auf Jachten zu entdecken und im Ansatz zu stoppen. Obendrein ist die Hafenpolizei vor Ort in erhöhter Einsatzbereitschaft.
Für die auf Mykonos üblicherweise florierende Tourismusindustrie sei das ausgerechnet zu Beginn der Hochsaison „eine wahre Katastrophe“, gar „der Todesstoß“, poltern die dortigen Unternehmervereinigungen. Das dürfte stimmen: Denn das Geschäftsmodell auf Mykonos, einem der Flaggschiffe der griechischen Reiseindustrie, lautet: unbändiges Nachtleben und Feiern bis zum Umfallen. Oft mit Hunderten Teilnehmern. Ohne Sicherheitsabstand, ohne Mund- und Nasenschutz. Sogar in Coronazeiten. Minuten nach der Ankündigung der Regierung habe es bereits Stornierungen gehagelt, klagen die Insel-Hotelbesitzer.
Die Regierung in Athen unter dem konservativen Premier Ky40 riakos Mitsotakis hatte keine andere Wahl. Über zehn Prozent der Schnelltests fielen bei Kontrollen auf Mykonos zuletzt positiv aus, wie der griechische Zivilschutz am Samstag mitteilte. Und die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern ist in Mykonos auf sagenhafte 345 in die Höhe geschnellt. Die Quarantäneunterkünfte auf der Insel seien bereits überfüllt, erklärte die Chefin des Gesundheitsdienstes der Insel, Dina Sampsouni, im Staatssender ERT.
Die drastische Maßnahme ist eine Warnung an andere griechische Inseln, die neben der Hauptstadt Athen in dieser vierten Infektionswelle zu hellenischen Coronahotspots avanciert sind. Konkret zählen Paros, Ios, Santorin und Kreta dazu, wie Medien berichten. Sie könnten im CoronaAmpelsystem des griechischen Zivilschutzes wegen exponentiell steigender Corona-Neuinfektionen auf Rot geschaltet werden. Die unweigerliche Folge wäre: abrupte Lockdowns und eine nächtliche Ausgangssperre wie in Mykonos.
Insgesamt ist die SiebenTage-Inzidenz in ganz Griechenland mit Stand vom 18. Juli in kürzester Zeit im Schnitt auf genau 176,6 gestiegen. Am 28. Juni lag sie noch bei 24,6.
Nach Einschätzung von Experten in Athen ist der abrupte, steile Anstieg der CoronaNeuinfektionen in Hellas vor allem auf die hochansteckende Delta-Variante zurückzuführen. Diese sei bei 50 Prozent der Neuinfektionen nachzuweisen. Die vierte Infektionswelle trifft Griechenland mit voller Wucht. Zur Unzeit. Denn das Land kann sich nach 2020 kein zweites für den Tourismus katastrophales Jahr in Folge leisten, nachdem heuer schon die ersten vier Monate wegen des herrschenden Lockdowns einen Totalausfall bedeuteten.
Einer Studie der Athener Notenbank (TTE) zufolge sind die Direkterlöse im griechischen Tourismus 2020 im Vergleich zum Rekordjahr 2019 um knapp 77 Prozent auf 4,31 Milliarden Euro eingebrochen. Die Zahl der nach Griechenland reisenden Urlauber ging im Gesamtjahr 2020 im Vergleich zum Jahr davor um gut 78 Prozent auf 7,4 Millionen Urlauber zurück.
Laut Angaben der Athener Notenbank (TTE) hatten 2019 genau 31,348 Millionen ausländische Urlauber (ohne Kreuzfahrttouristen) Griechenland besucht – ein Allzeitrekord.
Ursprünglich hoffte Athen darauf, dass die Direkterlöse im griechischen Tourismus im laufenden Jahr neun Milliarden Euro und damit 50 Prozent im Vergleich zum Rekordjahr 2019 erreichen würden.
Wie die regierungsnahe Athener Tageszeitung „Kathimerini“kürzlich berichtete, sei die Prognose für die Direkterlöse aus dem griechischen Tourismus in diesem Jahr mittlerweile auf 6,3 Milliarden Euro und damit gut 30 Prozent im Vergleich zum Rekordjahr 2019 gesenkt worden. Die Schlagzeile in „Kathimerini“dazu lautete: „Drahtseilakt für den griechischen Tourismus“.
Nach dem nun verhängten Lockdown auf Mykonos gilt dieser Befund mehr denn je. Die Party ist vorbei.