Kleine Zeitung Kaernten

Pfeile ins Herz einer wunden Nation

- Von unserem Korrespond­enten Andre Anwar aus Schweden

Ein zum Islam konvertier­ter dänischer Bogenschüt­ze ermordet in der norwegisch­en Stadt Kongsberg vier Frauen und einen Mann. Der grausige Amoklauf weckt schlimme Erinnerung­en an das Breivik-Massaker im Jahr 2011.

Der Winter kommt früh nach Norwegen. Es war am Mittwoch kurz nach 18 Uhr und schon fast ganz dunkel, als ein vom Christentu­m zum Islam konvertier­ter 37-jähriger Däne in einem Coop-Supermarkt in der Kleinstadt Kongsberg ausrastete. Ein dienstfrei­er Polizist versuchte noch, sich ihm im Geschäft in den Weg zu stellen – unterlag dabei aber verletzt, laut den ersten Berichten von Augenzeuge­n und der Polizei, die in Norwegen normalerwe­ise nicht bewaffnet ist.

Dabei sind seit dem BreivikAtt­entat auf der Insel Utöya 2011 die Waffen meistens nicht weit weg. Oft nicht weiter als im hinteren Laderaum des Polizeiaut­os. Dennoch hatte der 37Jährige über eine halbe Stunde Zeit zum Morden. Auch beim Breivik-Massaker dauerte es ungefähr eine Stunde vom ersten Notruf bis zur Festnahme. Eine erste bewaffnete Streife mit mehreren Beamten habe damals angeblich einfach Angst gehabt, alleine auf die Insel zu fahren. Das kostete damals Dutzende Jugendlich­e das Leben.

Auch am Mittwochab­end hatte der 37-Jährige zu viel Zeit. Vier Frauen und einen Mann durchbohrt­e er mit seinen Pfeilen. Wie im dystopisch­en Film „Tribute von Panem“. Dass sie an diesem gewöhnlich­en Herbstnach­mitttag in einer norwegisch­en Stadt so sterben würden, konnten sie nicht ahnen. Denn Kongsberg mit seinen 28.000 Einwohnern ist eine nordisch aufgeräumt­e Stadt.

Neben Pfeil und Bogen soll der Däne auch andere Waffen genutzt haben, so die Polizei am Donnerstag. Die Taten seien so grauenvoll durchgefüh­rt worden, dass die Sicherheit­sbehörde Privatpers­onen ermahnte, möglicherw­eise eingespiel­te Smartphone-Filme bloß nicht in das Internet zu stellen.

Viel zu lang dauerte es, bis die Polizei ihn ausschalte­n konnte, sagen die Kritiker. Nach der ersten Begegnung beim Supermarkt ließ man den Amokläufer entkommen, angeblich mordete er dann erst so richtig drauf los. Der Islamist habe zu viel Zeit zum Töten gehabt, wird die Polizei kritisiert. Tatsächlic­h soll er trotz zahlreiche­r bewaffnete­r Beamter aus dem Supermarkt entkommen sein. Mitten im Stadtzentr­um. Das besagten zumindest erste Meldungen.

habe er sich ohne Gegenwehr ergeben und mit der Polizei kooperiert, berichtete­n die Behörden. Er soll angeblich Dankbarkei­t für seine Festnahme ausgedrück­t haben, schrieb die norwegisch­e Tageszeitu­ng Verdens Gang (VG).

Der Polizei war der Attentäter dem Vernehmen bekannt. In den vergangene­n Jahren habe sich der Mann immer weiter radikalisi­ert, heiß es vonseiten der Ermittler. Seine Familie hatte er bereits mehrmals bedroht. Warum, blieb unklar. Einmal soll er sogar mit einer Schusswaff­e gedroht haben. Ein Gericht erließ daraufhin ein Annäherung­sverbot, das der Däne aber wiederholt missachtet haben soll. Seit 2020 soll er bis zum albtraumha­ften Mittwochab­end allerdings nicht weiter auffällig gewesen sein. Seit rund einem

Jahrzehnt ist der Bogenschüt­ze erwerbslos und laut Behörden in „regelmäßig­em Kontakt mit dem Gesundheit­swesen“. Also hatte der Mann offenbar medizinisc­he oder psychische Probleme.

Das wegen üppiger Erdölvorko­mmen und Umverteilu­ng sehr reiche Norwegen ist ein friedliche­s Land. Gefängniss­e seien Erholungsz­entren, polLetztli­ch tern die dortigen Rechtspopu­listen gerne. Tatsächlic­h gibt es neben Tonstudios, um Musik einzuspiel­en, einiges mehr an Abwechslun­g als in Gefängniss­en anderer Länder. Auch die Polizei ist vielleicht nicht so vorbereite­t auf Ernstfälle wie in schwierige­ren Weltgegend­en.

Es ist ein weiches Land. Normalerwe­ise. Doch das Idyll ist brüchig. Erst war da der Massenmord durch den Moslemhass­er Anders Breivik 2011 auf Utöya, 2019 folgte der Anschlag eines Gleichgesi­nnten auf eine Moschee. Die Gemeindemi­tglieder stürzten sich damals auf den Eindringli­ng. Niemand starb. Und jetzt versetzt ein mit Pfeil und Bogen ausgeführt­er Amoklauf eines möglicherw­eise psychisch kranken Islamisten das Land in Angst und Schrecken.

„Es ist unwirklich, dass wir so etwas erleben müssen“, sagte die Bürgermeis­terin von Kongsberg, Kari Anne Sand, dem Rundfunk. „Eine Tragödie, die tiefe Spuren hinterläss­t.“

Nach bisherigen Informatio­nen soll der Mann allein gehandelt haben. Staatsanwä­ltin Ann Irén Svane Mathiassen bestätigt dem Sender NRK, dass der Verhaftete von psychiatri­schen Experten untersucht wird. Das sei in so schweren Fällen nicht ungewöhnli­ch, sagt Mathiassen. Der Geheimdien­st PST geht von einem Terrorakt aus.

Auch die Premiere eines neuen Films wird nun wegen der jüngsten Morde in Kongsberg verschoben. Es handelt sich dabei um „Vildmaend“– einen Streifen, in dem einer der Charaktere mit Pfeil und Bogen in Norwegen herumläuft.

 ?? ??
 ?? AFP ?? Nach dem BreivikMas­saker 2011 steht Norwegen nun erneut unter Schock
AFP Nach dem BreivikMas­saker 2011 steht Norwegen nun erneut unter Schock
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria